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Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
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gegenüber, thronte die Richterbank. Als wenn ihre Wirkung noch verstärkt werden müsste, stand sie auf einer hohen Stufe. Hinter der Richterbank hing ein großes Landeswappen an der Wand. Anklage und Verteidigung saßen sich an den kurzen Seiten des Verhandlungsbereichs gegenüber: auf der einen Seite die Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde, auf der anderen Verteidigung und Angeklagter. Alle Fenster des Raums waren vergittert; offensichtlich sollte jeglicher Fluchtanreiz von vornherein ausgeschlossen werden.
    Genau in der Mitte zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung stand ein Zeugentisch mit Stuhl. Dieser Zeugenplatz war zur Richterbank ausgerichtet. Anders als in amerikanischen Gerichtssälen mussten die Zeugen dem Richter die Wahrheit ins Gesicht sagen. In den USA saßen sie neben dem Richter und blickten auf Anklage, Verteidigung und natürlich auf die Geschworenen. Hier war alles auf die Richterbank konzentriert.

    Am Platz des Verteidigers angekommen, holte ich meine Utensilien aus der Tasche und legte den wichtigsten Ordner neben mich.

    Der ganze Saal wartete auf die Hauptperson. Der Angeklagte war noch nicht da. Noch acht Minuten bis zum Beginn der Verhandlung.
    Plötzliches Raunen und laute Ausrufe durchschnitten das monotone Gemurmel im Saal. Blitzlichter von Kameras erleuchteten den Raum, als Reporter die Gelegenheit nutzten, vor Verhandlungsbeginn die letzten Fotos zu schießen. Nun war klar: Der Angeklagte kam. Er trug einen alten, schwarzen Anzug. Seine Haare waren gekämmt und die Fingernägel geschnitten. Wer ihn wohl so herausgeputzt hatte? Gefasst und erstaunlich gelassen ging er zu seinem Platz. So selbstsicher hatte ich meinen Mandanten nicht erwartet. Noch bevor er sich setzte, dreht er seinen Kopf zu mir und sagte: »Nun liegt es an dir, lass mich nicht hängen.« Er duzte mich! Ich wollte ihn gerade zurechtweisen, als mir die in der Akte abgeheftete Rechnung ins Auge stach. Er hatte ein sehr hohes Honorar für seine Verteidigung bezahlt. Welch ungeheuerliche Kraft Geld doch hatte! Ich verscheuchte diesen Gedanken und blätterte geschäftig in einer der Akten.

10
    Der vorsitzende Richter war ein hagerer Mann mit schütterem, grau meliertem Haar. Sein mächtiges Kinn dominierte die Gesichtszüge, seine wachen, dunklen Augen fielen deshalb erst auf den zweiten Blick auf. Eingefallene Wangen verliehen seinem Gesichtsausdruck eine besondere Strenge. Schmale, knochige Schultern stachen wie die Enden eines Kleiderbügels aus den Schultern seiner Robe. An seiner Seite saßen die zwei anderen Berufsrichter, die Beisitzer, ebenfalls in schwarzen Roben. Neben den Berufsrichtern hatten die Schöffinnen Platz genommen. Ihnen war ganz deutlich anzumerken, dass sie sich in dem ganzen Rummel nicht wohlfühlten.
    Der vorsitzende Richter eröffnete die Verhandlung und die Personalien der anwesenden Verfahrensbeteiligten wurden festgestellt. Danach bekam der Staatsanwalt das Wort erteilt, um die Anklageschrift zu verlesen.
    Der Staatsanwalt erhob sich und begann in aller Ausführlichkeit die Taten zu schildern, die man meinem Mandanten zur Last legte. Dabei ließ er kein Detail aus, wenn es nur annähernd zum Tatvorwurf passte. Da den Anklageschriften immer die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu Grunde liegen, fallen sie schon von Haus aus eine Spur zu drastisch aus. Aber was meinem Mandanten zur Last gelegt wurde, das war nicht mehr zu überbieten. Ich hörte weg, zumal ich die Akten schon kannte. Die Zuschauer, die Presse und auch die beiden Schöffinnen wurden mit jeder Silbe über die Taten meines Mandanten blasser. Der Staatsanwalt verlas alle 147 Tatvorwürfe. Er beschrieb, wie sich die 147 Taten auf die insgesamt 73 Opfer verteilten und was jedes einzelne von ihnen zu erleiden hatte. Er wusste sehr genau um den Trumpf der Anklageschrift, um die Möglichkeit, damit eine gegen den Angeklagten gerichtete
Stimmung zu schaffen. Als er zum Ende der Verlesung kam, konnte man den Hass aller Anwesenden auf meinen Mandanten so deutlich spüren, dass es mir besser erschien, eine Pause zu erzwingen. Dazu wandte ich einen der ältesten Anwaltstricks an: den Toilettengang.

    Als ich nach etwa zehn Minuten an meinem Platz zurück war, hatte sich die Stimmung wieder etwas beruhigt. Nun war ich an der Reihe.
    »Mein Mandant wird sich zur Sache äußern, wenn die Zeugen gehört wurden«, teilte ich dem Gericht mit. Mir schien diese Taktik geeigneter, um flexibler verteidigen zu können.
    Also wurden nun die

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