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Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
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ersten Zeugen hereingerufen. Bei der Zeugenvernehmung befragt der Richter den Zeugen, bis er sich ein Bild von dem ganzen Sachverhalt gemacht hat. Staatsanwaltschaft und Verteidigung können in dieser Phase nur zuhören und sich Notizen machen. Wenn der Richter die Zeugenvernehmung beendet hat, darf der Staatsanwalt seine Fragen stellen und danach die Verteidigung. Eine bereits beantwortete Frage braucht der Zeuge nicht erneut zu beantworten, auch gibt es eine Reihe von Fragen, die nicht zulässig sind, beispielsweise Suggestivfragen, die eine vorformulierte Antwort enthalten beziehungsweise einen Sachverhalt unterstellen, der durch eine Frage »untergeschoben« und anschließend geschickt wieder abgefragt wird.
    Das Gericht begann mit dem ermittelnden Polizisten, der die Umstände der Festnahme berichtete. Besonderes Augenmerk legte der vorsitzende Richter auf die Beschreibung des Hofs des Angeklagten.
    »Gab es irgendwelche Vorrichtungen auf dem Hof des Angeklagten, die eindeutig zur Begehung der hier verhandelten Delikte verwendet wurden oder werden sollten?«, wollte er wissen.

    Der Polizeibeamte verstand die Frage und ihre umständliche Formulierung sofort. Die Zuschauer dagegen rätselten über die kompliziert klingende Frage. Sie klang für sie nicht nur umständlich, sondern auch überflüssig. Das war ein großer Irrtum. Es war eine Frage, die meiner Verteidigungsstrategie sehr zugute kam - vorausgesetzt natürlich, auch die Antwort des Polizisten passte in meine Strategie.
    »Wir haben nichts gefunden, was derartige Rückschlüsse zulassen würde«, antwortete der Polizist ebenso gestelzt, wie er gefragt worden war. »Es fanden sich nur landwirtschaftliche Utensilien und Dinge des alltäglichen Gebrauchs.«

    Was für eine Steilvorlage für meine Taktik! Die Polizei hatte also nichts gefunden, was auf die Begehung der Straftaten hinwies. Das bedeutete, dass mein Mandant seine Taten nicht geplant hatte. Er hatte somit »nur« dann ein Verbrechen begangen, wenn sich eine Gelegenheit ergeben hatte. Einen expliziten Tatplan hatte er jedoch nicht gehabt. Diese Einschätzung ließ ich mir natürlich auch noch vom Polizeibeamten im Zeugenstand bestätigen. Somit wurde sie protokolliert und stand auch für das Gericht fest.
    Für meine Verteidigungsstrategie wäre es gut, nun die Mutter von einem der Opfer, die selbst auch Opfer des Monsters gewesen war, befragen zu können. Ich fragte also höflich, ob man sie nicht vorziehen könnte, denn eigentlich war sie als Zeugin erst sehr viel später vorgesehen.
    Der Staatsanwalt intervenierte. »Das ist hier doch kein Wunschkonzert«, fauchte er, »oder haben Sie einen plausiblen Grund dafür?«
    »Ja. Wenn wir die Zeugin vorziehen, gibt es sehr gute Chancen, dass wir den meisten Opfern ihre Aussage ersparen können.« Er winkte misstrauisch ab. Mein Mandant blickte mich verwirrt an.

    Der vorsitzende Richter ermahnte mich: »Ich hoffe für Ihren Mandanten, dass Sie keine Spielchen spielen. Wenn Sie nämlich ein Geständnis Ihres Mandanten in Aussicht stellen - und nur das kann den Kindern eine Aussage ersparen - und dann einen Rückzieher machen, wird dies nicht zu Gunsten Ihres Mandanten ausfallen und ins Strafmaß miteinfließen. Ist Ihnen das klar?«
    »Ja, das ist es.«
    »Gut. Herr Justizwachtmeister, rufen Sie die Zeugin in den Saal«, beschloss der vorsitzende Richter.
    Der Staatsanwalt knurrte etwas Unverständliches als Botschaft des Missfallens über die Entscheidung des Gerichts vor sich hin. Mit einer ruckartigen Bewegung erhob sich der Justizwachtmeister von seinem Platz und ging durch den Saal nach draußen. Bald darauf kam er zusammen mit einer jüngeren Frau zurück. Er führte die Zeugin zum Zeugentisch in der Mitte des Saals.

    Die blonde Frau nahm dort aufgeregt Platz. Sie trug Turnschuhe und eine alte Jeans; keine dieser Jeans, die eigentlich neu waren und auf alt getrimmt worden waren. Auch das gelbe Sweatshirt, das sie anhatte, war ausgeblichen. Die Frau war nicht nur nachlässig gekleidet, sie wirkte insgesamt ungepflegt. Der vorsitzende Richter belehrte die Zeugin, dass sie immer die Wahrheit sagen müsse und nur dann die Aussage verweigern dürfe, wenn sie sich oder einen Angehörigen in die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat bringen würde. Sie dürfe dann zu dieser Frage schweigen.
    »Ich denke, Sie wissen, warum Sie heute hier sind«, sagte der vorsitzende Richter in einem pastoralen, beinahe behutsamen Ton.
    »Ja, das weiß ich.

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