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Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
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Wegen der Sache mit dem da!« Sie zeigte auf meinen Mandanten.
    »Gut, dann erzählen Sie, was Sie davon wissen.«

    »Das ist eine lange Geschichte. Was wollen Sie denn genau wissen?«
    »Alles, bitte. Und fangen Sie von vorn an!«
    Die Zeugin warf erst einen ungläubigen Blick auf den vorsitzenden Richter, dann der Reihe nach auf die Beisitzer und die Schöffinnen. Auch den Staatsanwalt schaute sie kurz an. Dann blieb sie zunächst stumm. Die Stille dauerte fast eine ganze Minute - eine gefühlte halbe Ewigkeit in so einer spannenden Situation -, dann räusperte sie sich verlegen. »Ähm, also die Sache ist ja schon so lange her, ich weiß nicht, ob das nun noch eine Rolle spielt. Meine Tochter kann Ihnen ja eigentlich selbst viel besser sagen, was passiert ist.«
    Der vorsitzende Richter legte die Stirn in Falten und machte ein Gesicht, das zwischen Ärger und Mitleid schwankte. »Zuerst einmal ist das hier nicht irgendeine Sache, sondern es geht um Ihre Tochter.« Mit ruhigem Ton fuhr er fort: »Ich möchte gern von Ihnen erfahren: Wie und wann haben Sie bemerkt, dass etwas nicht stimmte, wenn Ihre Tochter Kontakt zum Angeklagten hatte?«
    »Also das war so: Meine Tochter kam eines Tages, es war vor etwa sechs Jahren, da war sie acht, von einem Besuch beim Angeklagten nach Hause. Er hat ja einen Hof und dort auch Tiere. Die hat sie gern besucht. Sie kam also nach Hause so zur Abendessenszeit und lief direkt in ihr Zimmer. Sie kam von dort auch nicht heraus, sodass ich später nachschauen gegangen bin.«
    »Wie spät war es da?«
    »Als sie nach Hause kam, so 17 Uhr oder auch 17 Uhr 30.«
    »Nein, als Sie bemerkt haben, dass etwas nicht stimmt.«
    »Ich verstehe nicht?«
    »Als Sie zu ihr ins Zimmer gegangen sind, meine ich. Denn bei der Polizei haben Sie gesagt, dass Sie dann gemerkt haben, dass ›was faul‹ war.«

    »Ach so, das war vielleicht gegen 21 Uhr 30.«
    »Was haben Sie denn in der Zwischenzeit gemacht?«, fragte der vorsitzende Richter ruhig, aber mit leicht zugekniffenen Augen weiter. Er strengte sich offensichtlich an, sich nicht anmerken zu lassen, dass er die Zeugin nicht für eine fürsorgliche Mutter hielt.
    »Gegessen, den Abwasch gemacht und anschließend ferngesehen. Eben wie immer eigentlich. Dann bin ich zu ihr rein und habe sie erst nicht gesehen. Sie hatte sich im Kleiderschrank versteckt. Ich dachte erst an ein Spiel, doch dann sah ich, dass sie sich auch in die Hosen gepinkelt hatte. Das machte mich dann stutzig.«

    Der vorsitzende Richter hatte seinen Gesichtsausdruck nun nicht mehr im Griff. Er betrachtete die Zeugin verärgert und mit verächtlich zusammengekniffenen Augen. Man konnte ihm ansehen, dass er es für unverantwortlich hielt, wenn man für Kinder nicht die nötige Fürsorge aufbringt. Aber er blieb trotzdem ruhig. Er musste neutral bleiben, sonst hätte er eine Ablehnung wegen des Verdachts der Befangenheit riskiert. Das Verfahren wird aufgrund solcher Anträge dann sofort unterbrochen und ein anderer Richter entscheidet über den Befangenheitsantrag. Natürlich fällt diese Entscheidung auch nicht sofort, sondern erst eine oder zwei Wochen später. Gefährlich an einem solchen Antrag ist, dass der Prozess im Falle der Ablehnung des Antrags mit dem gleichen Richter fortgesetzt wird, gegen den der Befangenheitsantrag ursprünglich gestellt wurde. Oftmals tritt dann erst eine echte Befangenheit ein, die man dann aber hinnehmen muss. Trotz aller Gefahren sind solche Anträge bei Verteidigern oftmals beliebt, denn leichter kann man kein Verfahren - zumindest für die Zeit bis zu einer Entscheidung über den Antrag - zum Platzen bringen und so wertvolle Zeit gewinnen. Diese Zeit kann der Verteidiger dann nützen, um Beweismittel
zu Gunsten seines Mandanten aufzutreiben. Oder er hofft, dass in dieser Zwangspause vielleicht der eine oder andere Belastungszeuge etwas vergisst und die Aussagen dadurch für seinen Mandanten günstiger werden. Für meinen Mandanten wäre ein Zeitgewinn durch einen Befangenheitsantrag hinderlich gewesen, denn in diesem Fall kam es auch auf die momentane Stimmung des Gerichts an. Und da der vorsitzende Richter die Zeugin offenbar als schlechte Mutter ansah, konnte ich mir auch frechere Fragen erlauben. Das war ein echter Verfahrensvorteil, der weder im Gesetz steht, noch an der Uni gelehrt wird. Und genau den galt es zu nutzen.
    »Und, was haben Sie dann gemacht?«, fragte der vorsitzende Richter in einem deutlich raueren Ton.
    »Na, ich habe sie

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