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Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
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öffentlichen Interesse würden in jeder Zeitung Berichte und Kommentare zu lesen sein. Also gab ich ein paar Pressevertretern kurze Interviews, denn es galt, das Medienecho so weit wie möglich mitzubeeinflussen und einleuchtende erklärende Worte für den Ausgang der Verhandlung zu finden. Eine »gute Presse« ist ein wichtiger Faktor, auch im Anwaltsgeschäft. Aber eigentlich hätten nicht die Presseleute, sondern die Opfer und ihre Angehörigen Erklärungen und eine Entschuldigung verdient. Und zwar nicht aus der Zeitung, sondern persönlich.
    Nach den Interviews verabschiedete ich mich von meinem Mandanten, der nun als freier Mann nach Hause zurückkehrte. Ich verstaute meine Akten und war auf den Weg zurück zur Kanzlei, als mein Mobiltelefon klingelte.
    »Großartige Leistung«, dröhnte die Stimme des namensgebenden Partners meiner Kanzlei jovial aus dem Hörer. »Fahren Sie nach Hause, feiern Sie und machen Sie sich einen schönen Abend. Das haben Sie sich redlich verdient.«
    Ja, verdient, das war das richtige Stichwort. Denn in der Vergütungsvereinbarung, die ich mit meinem Mandanten abgeschlossen hatte, war eine Vereinbarung enthalten, die ein Zusatzhonorar für den Fall vorsah, dass er keine Haftstrafe antreten muss. Die Kanzlei und auch ich, wir verdienten mehrfach an diesem Sieg. Zumindest finanziell.
    Obwohl ich lieber in die Kanzlei zurückgekehrt wäre, gab ich nach und verbrachte den Abend zu Hause. Doch von
einem schönen Abend konnte keine Rede sein. Im Gegenteil. Irgendetwas in mir konnte sich überhaupt nicht über diesen Sieg freuen und ich war regelrecht bedrückt.

    Als ich am nächsten Tag in die Kanzlei kam, dauerte der kurze Weg zu meinem Büro deutlich länger als sonst, denn jeder Mitarbeiter der Kanzlei, den ich traf, gratulierte mir zu meinem Erfolg und wollte alle Details erfahren. Auf meinem Schreibtisch lagen bereits die Zeitungen mit den Schlagzeilen und Berichten zur Verhandlung. Über meine Verteidigung wurde kein böses Wort geschrieben.
    Von diesem Tag an herrschte reger Mandantenzulauf in der Kanzlei. Jeder, der ein Problem hatte, wollte meine Meinung hören. So war ich plötzlich als junger, mutiger Anwalt in den Fokus des Interesses geraten. Die Geschäfte liefen gut, aber ich war nicht glücklich. Ich verspürte den Wunsch, von dort wegzugehen. Ähnlich einem Täter, der vom Tatort flieht.
    Die Fröhlichkeit und Leichtigkeit war aus meinem Leben verschwunden. Doch das konnte ich niemandem sagen, denn keiner würde dafür Verständnis haben. Bei oberflächlicher Betrachtung hatte ich es doch geschafft: Erfolg im Job und bei den Frauen, Sportwagen und schöne Wohnung. Wer sollte also verstehen, warum ich weg wollte, wenn ich es selbst nur als unbestimmbaren Drang spürte und nicht objektiv begründen konnte? So verdrängte ich den Gedanken, weil ich auch keine vernünftige Möglichkeit seiner Verwirklichung sah. Einfach weggehen und das Erarbeitete zurücklassen? Die gewonnene Sicherheit aufgegeben und gegen das Risiko eines Neuanfangs tauschen? Und das nur, weil man der »inneren Stimme« folgen will? Eigentlich gibt es nur eine Möglichkeit, wenn man unglücklich ist: Man muss das, was einen unglücklich macht, ändern. Das Problem ist aber, dass nicht die Emotion allein entscheidet; auch der Kopf und die Umwelt haben gewaltigen
Einfluss auf solche Entscheidungen. Risiko und Wagnis oder Sicherheitsbedürfnis und erreichter Status? Es war eine Pattsituation, in der ich tatenlos verharrte.

    Doch eines Tages klingelte mein Mobiltelefon. Völlig in meinen Akten versunken, nahm ich das Gespräch an. Wahrscheinlich ein Mandant, der meinen Rat brauchte, dachte ich. Aber es war ein Headhunter.
    »Können Sie frei sprechen?«, sagte eine feste Stimme. Ich bejahte und fragte, worum es ginge. »Nun, wenn Sie sich vorstellen können, einen beruflichen Wechsel vorzunehmen, dann sollten wir uns zu einem unverbindlichen, persönlichen Gespräch treffen. Diskret, versteht sich.«
    Ich willigte ein und wir vereinbarten ein Treffen für den folgenden Samstag in seinem Büro in einer nahegelegenen Großstadt. Nachdem das Telefongespräch beendet war, arbeitete ich weiter, als wäre nichts gewesen, doch irgendwie fühlte ich mich als Verräter, als illoyal gegenüber meinem derzeitigen Arbeitgeber. Mehr hatte ich mir zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr vorzuwerfen. Gerechtigkeit war in meinem beruflichen Alltag zum inhaltslosen Begriff geworden. Entscheidend war nur die bezahlte

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