Anklage
Verstehen Sie, ich hatte keine Kraft, absichtlich war es nicht. Und das mit der Strafanzeige ist auch nicht so einfach in einem Dorf. Wir gingen doch alle auch gemeinsam zum Gottesdienst, in den Kirchenchor. Wir waren irgendwie eine Gemeinschaft, da kann man doch nicht einfach einen auffliegen lassen. Wieso sollte ausgerechnet ich unsere Gemeinschaft verraten. Es hat doch auch sonst keiner was dagegen gemacht. Ich habe mir immer wieder gesagt: Gott wird es schon richten. Es wird irgendwann aufhören, davon war ich auch überzeugt. Es tut mir leid.« Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. »Ich habe keine Fragen mehr«, sagte ich.
Die Zeugin durfte gehen. Der vorsitzende Richter vermied es, sie anzusehen. Er blätterte so lange in den Akten, bis die Zeugin aus dem Saal verschwunden war.
11
Als nächster Zeuge wurde der Mann in den Zeugenstand gerufen, der mit seiner Strafanzeige den Stein ins Rollen gebracht hatte: ein Unternehmer, der zusammen mit anderen Geschäftsleuten ein Shoppingcenter bauen wollte. Dazu brauchte er ein Grundstück des Angeklagten, der seinen Grund und Boden aber nicht verkaufen wollte. Darüber war Streit mit meinem Mandanten entstanden.
Als der Zeuge den Saal betrat, wurde er von den Zuschauern kaum zur Kenntnis genommen, denn nach der vorangegangenen Vernehmung der Zeugin wurde in den Zuschauerreihen kontrovers diskutiert und der Geräuschpegel war deutlich angestiegen. Die einen nahmen die offensichtlich überforderte Mutter in Schutz, die anderen hingegen schienen kein Verständnis für ihr Verhalten zu haben.
Der Geräuschpegel war derart angestiegen, dass der vorsitzende Richter laut das Wort ergriff. »Ruhe bitte«, rief er in den Saal, »das ist hier kein Caféhaus, sondern ein Gerichtssaal. Wenn Sie nun bitte die Gespräche einstellen, wir haben einen Zeugen zu vernehmen.«
Die Gespräche im Zuschauerbereich verstummten augenblicklich und die Blicke richteten sich auf den Mann, der schon im Zeugenstand Platz genommen hatte. Der vorsitzende Richter führte seine Befragung durch und nachdem der Zeuge alles zur Strafanzeige erzählt hatte, beendete er die Befragung.
Der Staatsanwalt hatte keine Fragen. »Ihr Zeuge« - nun war ich an der Reihe.
Der Zusammenhang zwischen dem abgelehnten Geschäft meines Mandanten mit dem Zeugen und der Anzeige erschien mir eindeutig, aber ich musste aufpassen. Wenn ich zu offensiv
war, konnte ich die derzeit gute Position meines Mandanten im Prozess noch zerstören. Kein Richter sieht es gern, wenn ein Gewaltverbrecher oder dessen Verteidiger auftrumpft. Dosierte Attacke war die beste Taktik.
»Können Sie uns bitte beschreiben, welche beruflichen Projekte Sie derzeit verfolgen?«, eröffnete ich meine Fragerunde. Da warf der Staatsanwalt missmutig ein: »Was soll das denn jetzt? Wir wissen doch, dass er Bauträger ist. Auf irgendwelche Projekte kommt es da doch nicht an!«
Bevor ich etwas erwidern konnte, brachte der vorsitzende Richter den Staatsanwalt mit einer abwinkenden Handbewegung zum Schweigen. Er verstummte und ich wiederholte meine Frage.
»Nun, also ich versuche gerade, einen Supermarkt, ein Neubaugebiet und eine Tankstelle in die Tat umzusetzen.«
»Haben Sie nicht etwas vergessen? Etwas, das möglicherweise in Bezug zum Angeklagten steht?«
»Ach ja, ein Shoppingcenter. Das meinen Sie wahrscheinlich?« Der Zeuge wandte sich nun zu mir und nahm Blickkontakt auf. Wahrscheinlich hatte er das in irgendeinem Rhetorikseminar gelernt. Dort wurde ihm das sicher als Gegenangriff verkauft, der geeignet sein soll, seinen Kontrahenten zu beeindrucken. Das Geld für dieses Seminar hätte er sich sparen können, denn er war in einem Gerichtssaal, in dem er von einem hungrigen Anwalt befragt wurde, der nur eines wollte: gewinnen. Gewinnen um jeden Preis!
»Bitte beschreiben Sie uns die Lage des Shoppingcenters und sagen Sie dem Gericht, wer der Eigentümer des Grunds ist, auf dem es gebaut werden soll.«
»Das ist ein Grundstück des Angeklagten, aber das wissen Sie doch. Warum fragen Sie das?«
»Ich stelle die Fragen und Sie geben die Antworten«, verschärfte ich den Ton.
Von der Richterbank gab es keine Reaktion, vielmehr wartete man auch dort gespannt auf eine Antwort.
»Haben Sie eine Einigung mit dem Angeklagten über den Verkauf erzielt?«, fragte ich weiter.
»Nein, er wollte nicht verkaufen und wahrscheinlich will er es heute auch noch nicht.«
»Wann hat der Angeklagte das Kaufangebot endgültig abgelehnt?«
»Am 27.
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