Anlass
Ich genoß das Vergnügen, dem Schaffner ohne ein flaues Gefühl im Magen gegenübertreten zu können. Ich war aufgekratzt und mit mir zufrieden. Zuvor hatte ich mit Claire telefoniert und ihr erklärt, daß ich Italien eiligst hatte verlassen müssen (ich sagte nicht, wie eilig), um einer Anklage wegen Bestechung in Verbindung mit einem Spartacus-Auftrag zu entgehen, und ich versprach ihr, in einer Woche zu Hause zu sein. Sie hatte sich heldenhaft überwunden und nicht nach Einzelheiten gefragt. Diese Tatsache hatte ich Zaleshoff mit einigem Stolz mitgeteilt.
Er hatte gegrinst. »Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, Marlow, würde ich mich ins Zeug legen, sobald ich nach London käme. Wenn Sie nicht aufpassen und bald heiraten, wird sie Ihnen ein anderer wegschnappen.«
»Genau das hab ich mir auch gedacht.«
Ich hatte auch mit Wolverhampton telefoniert. Mr. Fitch war nicht so zurückhaltend in bezug auf Einzelheiten gewesen. Die Nachricht von dem Haftbefehl gegen mich hatte Spartacus über die britischen Behörden erreicht. Auf seinen Schwall von Fragen hatte ich gesagt, daß ich bei Freunden gewohnt und gewartet hätte, bis die Sache abflaute, daß ich jetzt aber in Sicherheit sei und sobald wie möglich nach Wolverhampton kommen würde. An dem Punkt machte mich das Fräulein vom Amt darauf aufmerksam, daß meine sechs Minuten um seien. Ich schlug noch schnell vor, Umberto in der Zwischenzeit mit der Leitung des Mailänder Büros zu beauftragen.
Ich hatte noch zwei Monatsgehälter von Spartacus zu bekommen. Aber eine Sache, die Fitch erwähnte, beunruhigte mich. Er hatte davon gesprochen, daß die italienische Regierung ein Auslieferungsverfahren einleiten könnte. Ich erwähnte das gegenüber Zaleshoff.
Er lachte. »Auslieferung? Aussichtslos. Selbst wenn sie wüßten, daß Sie hier sind, würden sie nichts unternehmen. Erstens können sie Sie nicht mehr daran hindern, mit Vagas Kontakt aufzunehmen. Zweitens müßten sie selbst zu viele Fragen beantworten, als daß es sich für sie lohnte. Da ist das Paßbild, das sie in die Zeitung setzten. Angenommen, die britischen Behörden wollen wissen, wie sie dazu gekommen sind? Nein. Ich glaube, der einzige, an dem sie ihre Wut auslassen können, ist Bellinetti. Ich möchte um alles in der Welt nicht an seiner Stelle sein.«
Anscheinend hatte er sich mit Tamara in Verbindung gesetzt, denn sie erwartete uns in Belgrad auf dem Bahnhof. Sie küßten einander die Hände. Es war rührend. Sie lächelte mich an.
»Sie sehen gut aus, Marlow.«
»Er ist viel spazierengegangen«, bemerkte Zaleshoff. »Nichts erhält einen so frisch wie das Wandern.« Er faßte sie am Arm. »Wo ist Vagas? Hast du ihn schon gefunden?«
»Ja. Sein Haus ist zugesperrt, aber ich habe Fedor beauftragt, es zu beobachten. Er ist gestern dort gewesen und nach vierzig Minuten mit einer Reisetasche wieder herausgekommen. Fedor folgte ihm zum Hotel Amerika. Er hat dort eine Suite im zweiten Stock, Zimmer 210.«
»Gut.« Er zwinkerte mir zu.
»Fedor?« sagte ich. »Das klingt ja wie ein guter alter amerikanischer Name.« Aber er überhörte die Bemerkung.
»Wo wohnen wir?«
»Für uns habe ich Zimmer im Akazia genommen und für Marlow eins im Amerika – im zweiten Stock.«
»Wir wollen erst ins Akazia gehen.«
Im Hotel Akazia redeten wir eine halbe Stunde. Oder vielmehr Zaleshoff redete, und ich nickte. Tamara hatte uns verlassen, aber bald erschien sie wieder mit einer großen teuren Reisetasche, die Pyjama, Zahnbürste und Toilettensachen enthielt, sowie eine Anzahl alter Bücher, um sie schwerer zu machen. Gegen sechs Uhr stieg ich mit meiner Tasche in ein Taxi und fuhr zum Hotel Amerika.
Als ich mich anmeldete, blickte ich aufs Schlüsselbrett und sah, daß der Schlüssel von Zimmer 210 dort hing. Vagas war also aus. Ich ging in mein Zimmer, legte meinen Hut ab, packte Pyjama und Toilettensachen aus und ging dann in die Halle hinunter. Dort wählte ich einen Tisch, von dem ich durchs Foyer zum Haupteingang sehen konnte, bestellte etwas zu trinken und wartete.
Er würde, so überlegte ich, sicher ins Hotel zurückkommen, um sich für den Abend umzuziehen. Und ich hatte recht. Als ich eben meinen zweiten Cocktail leerte, sah ich ihn durch die Drehtür kommen, seinen Schlüssel holen und auf den Lift zugehen. Ich setzte schnell mein Glas nieder und stürzte zur Treppe. Ich hatte gerade Zeit, die Lifttür im zweiten Stock zu erreichen und auf den Knopf zu drücken, als ob ich den Lift haben
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