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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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Tragödie! Wir sind entsetzt. Aber zum Teufel! Beronelli mußte wahnsinnig werden, weil es über seine Kraft ging, in einer verrückten Welt normal zu bleiben. Er mußte einen Ausweg finden und sich seine eigene Welt aufbauen, eine Welt, in der er etwas galt, eine Welt, in der ein Mensch mit seinen Gaben arbeiten kann und weiß, daß ihn niemand daran hindern darf. Sein Geist hat diese Lüge für ihn konstruiert, und jetzt ist er glücklich. Er ist aus dem allgemeinen Wahnsinn in seinen eigenen geflüchtet. Aber Sie und ich, Marlow, wir sind noch bei all den anderen Wahnsinnigen. Der einzige Unterschied zwischen unserem Wahnsinn und dem Beronellis ist, daß wir unseren mit den andern Bürgern Europas teilen. Wir hören noch immer Kerlen zu, die uns erzählen, daß Frieden und Gerechtigkeit nur durch Krieg und Unrecht zu erreichen sei, daß der Fleck Erde, auf dem ein Volk lebt, mystischerweise besser ist als der, auf dem sein Nachbarvolk lebt und daß ein Mensch, der Gott mit anderen Worten preist als wir, unser geborener Feind ist. Wir flüchten in die Lüge. Wir machen uns nicht mal die Mühe, gut zu lügen. Wenn man etwas nur oft genug sagt und es glauben will, dann muß es ja wahr sein. So funktioniert das! Nur nicht denken, laßt uns unseren Bäuchen folgen! Nieder mit der Intelligenz! Die menschliche Natur läßt sich nicht ändern – und damit basta . So ein Unsinn! Als ob die menschliche Natur nicht ein Bestandteil des sozialen Systems wäre. Ändere das System, und der Mensch wird sich ändern. Wenn Ehrlichkeit sich wirklich lohnt, wird jeder ehrlich. Wenn für den Mitmenschen arbeiten heißt, auch für sich selber arbeiten, dann wird Brüderlichkeit zur Tatsache. – Aber das glauben wir noch lange nicht, nicht wahr, Marlow? Wir hätscheln immer noch unsere Illusionen. Sie sind Engländer. Sie glauben an England, ans Weiterwursteln, ans Geschäft und an die Arbeitslosenunterstützung, um den hungernden armen Teufeln, die nichts zu tun haben, den Mund zu stopfen. Und wenn Sie Amerikaner wären, so würden Sie an Amerika glauben, an Aufstiegschancen für jedermann, an Wohltätigkeit und Gummiknüppel. Beronelli ist verrückt, der arme Kerl. Eine schreckliche Tragödie. Er glaubt, daß die Gesetze der Thermodynamik alle falsch sind. Ist das verrückt? Sicher. Aber wir sind noch viel verrückter. Wir glauben, daß die Gesetze des Dschungels alle richtig sind …«
    Er redete immer weiter, und ich hörte zwar, was er sagte, aber an seine Worte kann ich mich jetzt nicht mehr erinnern, denn die Augen fielen mir zu und bald war ich eingeschlafen.

    Es dämmerte, als Simona Beronelli uns sacht schüttelte und schweigend auf den heißen Kaffee und Toast zeigte, die sie auf den Tisch gestellt hatte. Das Feuer hatte unsere Kleider getrocknet. Bald nach sechs erschien sie im Mantel wieder und sagte, sie sei bereit. Wir machten uns durch den Schnee voran. Es war ein klarer, strahlender Morgen.
    Dort, wo die alte Straße aus dem Wald herausführte, in halber Höhe des Abhanges, sagten wir ihr Lebewohl. Es war ungefähr einen Kilometer von der Grenze. Sie meinte, es wäre gefährlich für sie, weiter mitzukommen.
    Vierzig Minuten später wurden wir von einer jugoslawischen Grenzpatrouille festgenommen.

18. Kapitel
    »Kein Anlaß zur Unruhe«
    W
    ir wurden einige Kilometer weit zu einem Grenzposten gebracht.
    Die jugoslawischen Beamten waren mißtrauisch, aber höflich. Unsere Angelegenheit wurde so unbürokratisch behandelt, wie ich es nicht erwartet hätte. Die Männer, die uns verhaftet hatten, standen spuckend und rauchend herum, während wir verhört wurden. Später erst hörte ich, daß sie nur die Tatsache interessierte, daß wir keine Italiener waren. Italienische Flüchtlinge waren anscheinend immer noch ziemlich häufig.
    Zaleshoff zeigte seinen Paß vor und wurde innerhalb einer Stunde freigelassen. Ich erhielt die Erlaubnis, unserm Vizekonsul in Zagreb zu telefonieren. Es dauerte lange, bis das Gespräch zustande kam, und man gab uns Kaffee zu trinken, während wir vor dem Ofen im Raum der Wache warteten. Um elf Uhr war alles zur Zufriedenheit erledigt, und man erlaubte uns, nach Zagreb weiterzufahren unter der Bedingung, uns sofort nach der Ankunft bei der Polizei zu melden. Diese Nacht schlief ich nach fünf Tagen zum erstenmal in einem Bett.
    Am folgenden Morgen reiste ich nach Belgrad weiter. Ich trug einen funkelnagelneuen jugoslawischen Anzug, und das Konsulat hatte mir einen Personalausweis ausgestellt.

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