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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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Marlow. Er war zwar mein teurer Freund, aber ich kannte ihn nicht.« Er machte eine Bewegung mit seiner Zigarette. »Ich glaube, es ist unmöglich, einen Menschen wirklich zu kennen. Seine Gedanken, seine heimlichen Gefühle, die Art, wie sein Geist auf Dinge, die er sieht, reagiert – das macht den Menschen aus. Alles was der Außenstehende sieht, ist nur die Schale, die Maske – Sie verstehen mich? Nur manchmal sehen wir einen Menschen wirklich und dann« – seine Augen schweiften zur Decke empor – »ist es durch die Augen eines Künstlers.«
    »Es ist wahrscheinlich viel Wahrheit in dem, was Sie sagen«, bemerkte ich ruhig. »Ich wollte indessen sagen, daß ich niemals Fernings Bekanntschaft gemacht habe.«
    »Wie schade! Ich glaube, er hätte Ihnen sehr gefallen, Mr. Marlow. Ich glaube, Sie hätten gemeinsame Sympathien gehabt. Er war – wie sagen Sie nur – empfindlich.«
    »Sie meinen ›sensibel‹?«
    »Ja, das ist das Wort. Ein Mann, wissen Sie, der über den Trivialitäten und dem Schmutz des täglichen Lebens stand – ein Mann, Mr. Marlow, mit einer Philosophie.«
    »Wirklich?«
    »Ja, Mr. Marlow. Ferning fand, wie ich auch, daß man in einer Welt wie dieser nur darauf bedacht sein sollte, ein Maximum an Annehmlichkeiten mit einem Minimum an Anstrengungen zu erreichen. Aber das war natürlich nicht alles. Er war, wie ich ihm öfter sagte, ein Platoniker wider Willen. Ja, er hatte seine Ideale, aber er bewahrte sie dort, wo sie hingehören – in den hintern Kammern seines Geistes, dort, wo man auch den Traum von Utopia hegt.«
    Ich hatte allmählich genug.
    »Und Sie, General? Sind Sie auch an Werkzeugmaschinen interessiert?«
    Er zog die Augenbrauen hoch. »Ich? O ja, Mr. Marlow. Natürlich interessiere ich mich für Werkzeugmaschinen. Aber wissen Sie« – ein einfältigaffektiertes Lächeln belebte sein Gesicht – »ich interessiere mich für alles. Sind Sie schon durch die Giardini Publici gegangen? Nein? Wenn Sie dort hingehen, werden Sie die Angestellten herumwandern sehen wie verdammte Seelen, ziellos und ohne Gefühl, während sie kleine Papierabfälle mit langen, dünnen Spießen auflesen. Verstehen Sie mich? Sehen Sie, was ich meine? Nichts ist für meinen Geschmack zu einzigartig, zu esoterisch. Nicht einmal Werkzeugmaschinen.«
    »So haben Sie also Ferning kennengelernt?«
    Der General hob abwehrend die Hand. »Gott bewahre, nein, nein. Wir lernten uns durch einen gemeinsamen Freund kennen, und wir entdeckten unser gemeinsames Interesse am Ballett. Interessieren Sie sich fürs Ballett, Mr. Marlow?«
    »Ich sehe es sehr gern.«
    »So?« Er sah überrascht aus. »Es freut mich, das zu hören, freut mich ganz besonders. Unter uns gesagt, Mr. Marlow, ich habe mich oft gefragt, ob das Interesse des armen Ferning für das Ballett nicht mehr vom persönlichen Charme der Ballerinas beeinflußt war als von der unpersönlichen Tragödie des Tanzes.«
    Die Getränke kamen, und ich war froh darüber.
    Er roch an seinem Cognac, und seine Lippen verzogen sich zu einem Ausdruck von Widerwillen. Ich wußte, daß der Cognac im Parigi schlecht war, aber diese Grimasse ärgerte mich. Er stellte das Getränk vorsichtig auf ein Seitentischchen.
    »Ich persönlich«, begann er, »finde diese Stadt unerträglich; die Oper und das Ballett sind das einzige, was sie bietet. Deswegen komme ich auch her. Sie müssen sich hier ohne Freunde sehr einsam fühlen, Mr. Marlow.«
    »Ich bin bisher zu beschäftigt gewesen, um darüber nachzudenken.«
    »Ja, natürlich. Sind Sie schon früher in Mailand gewesen?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nun, dann werden Sie das kurze Vergnügen haben, eine neue Stadt zu entdecken. Ich persönlich ziehe Belgrad vor. Aber ich bin ja Jugoslawe.«
    »Ich bin nie in Belgrad gewesen.«
    »Da haben Sie noch ein Vergnügen vor sich.« Er machte eine Pause. »Hätten Sie vielleicht Lust, morgen abend meine Frau und mich in unserer Loge zu beehren? Man gibt wieder einmal Les Biches , und den Lac des Cygnes sehe ich immer wieder gern. Hinterher könnten wir zu dritt soupieren.«
    Mir war die Aussicht, einen Abend in Gesellschaft des Generals Vagas zu verbringen, ausgesprochen zuwider.
    »Das wäre reizend. Aber leider muß ich morgen abend arbeiten.«
    »Dann übermorgen?«
    »Ich muß geschäftlich nach Genua.«
    »Dann wollen wir sagen, nächsten Mittwoch.«
    Wieder abzusagen, wäre grob gewesen. Ich nahm mit so viel Höflichkeit wie möglich an. Bald darauf erhob er sich, um zu gehen. Auf

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