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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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Tasten glitten, fand ich höchst irritierend. Über diese Serafina muß ich wohl noch ein Wörtchen mit Bellinetti reden. Einstweilen habe ich noch kaum Zeit gehabt, mich mit dem eigentlichen Geschäftsgang zu befassen. Fitch hat mir dazu ein langes Memorandum mitgegeben, und morgen werde ich mit der Kontrolle beginnen. Bellinetti versichert mir, daß alles in schönster Ordnung ist. Hoffen wir es!
    Die einzige Bekanntschaft, die ich bisher außerhalb meines Büros gemacht habe, war ein Amerikaner, dessen Namen ich nicht kenne. Sein Büro liegt direkt unter meinem. Er ist ein seltsamer Vogel mit einer Nase wie ein Preisboxer, braunem Haar, das schräg von seiner Stirn absteht, auffallend blauen Augen und Schultern, die um so gewaltiger wirken, weil er kleiner ist als ich. Entschuldige, wenn ich ihn so umständlich beschreibe, aber er hat mir Eindruck gemacht. Wir trafen uns heute morgen auf der Treppe, und er fragte mich, ob ich Engländer sei. Mein Anzug hätte ihn auf den Gedanken gebracht. Wir wollen bei Gelegenheit miteinander ein Glas trinken. Er sagt, er habe Ferning gekannt.

    Wenn ich gewußt hätte, wieviel Eindruck mir dieser »Amerikaner« in naher Zukunft noch machen würde, hätte ich ihn wohl nicht so schnell wieder vergessen.

    Und nun, mein Liebling, will ich mit dem Brief aufhören. Er ist ohnehin schon zu lang, und obwohl es erst neun ist, kann ich kaum mehr meine Augen offenhalten. Und doch hab ich noch nichts von dem gesagt, was meine Gedanken wirklich beschäftigt – ich meine, Dich und mich. Vielleicht weißt Du, was ich meine. Ich hoffe es, denn bevor ich mich hier eingelebt habe, werde ich nichts Besseres zu Papier bringen als eine Mischung aus Geschäftsmemorandum und nicht sehr anregendem Erlebnisbericht. Ich werde jetzt ein heißes Bad nehmen und dann zu Bett gehen. Gute Nacht, und schlaf wohl, mein Liebling. Schreib mir, sobald Du kannst. Ich tröste mich damit, daß Du Deine Sommerferien hier verbringen wirst, aber es ist noch schrecklich lange bis dahin. Laß mich so bald wie möglich wissen, wann es sein wird. Laß es Dir gut gehen!
    Nicky

    Ich las den Brief durch. Er füllte sechs Seiten des Hotelbriefpapiers. Viel zu lang und viel zu wehleidig. Im Moment brachte ich nichts Besseres zustande, aber Claire würde es schon verstehen.
    Ich hatte das Kuvert schon zugeklebt und adressiert, als mir noch ein Postskriptum einfiel. Da keine Kuverts mehr da waren, schrieb ich es hinten auf den Umschlag.

    P. S. – Würdest Du mir jede Woche eine Nummer des Engineer schicken? Wir bekommen ihn zwar hier, aber erst, wenn Fitch ihn gelesen hat. Alles Liebe. N.

    Das war also erledigt. Ich würde den Brief am andern Morgen aufgeben. Ich gähnte und überlegte, ob ich gleich das Badewasser einlassen oder noch eine Zigarette rauchen sollte.
    Die Frage wurde für mich entschieden. Das Telefon neben dem Bett läutete schrill, und die Stimme des Nachtportiers teilte mir mit, daß mich ein Signor Vagas zu sprechen wünsche.
    Mein erster Impuls war, zu sagen, ich sei schon im Bett und könnte niemanden mehr empfangen. Ich kannte keinen Signor Vagas, hatte nie von einem Signor Vagas gehört und war zu müde, um mich jetzt um ihn zu kümmern. Aber ich zögerte. Die Tatsache, daß ich persönlich keinen Signor Vagas kannte, hatte nichts zu bedeuten. Ich kannte überhaupt niemanden in Mailand. Der Mann war möglicherweise ein wichtiger Einkäufer, ein Kunde von Spartacus; ich konnte mich auf kein Risiko einlassen, ich mußte ihn empfangen. Der Name klang zwar nicht besonders italienisch, aber das tat nichts zur Sache. Ich mußte ihn wohl empfangen. Was konnte er nur wollen? Mit einem Seufzer bat ich den Portier, ihn heraufzuschicken.
    Ich habe mich seither oft gefragt, was geschehen wäre, wenn ich meinem dringenden Verlangen nach einem heißen Bad nachgegeben und ihn abgewiesen hatte. Vermutlich wäre er ein anderes Mal gekommen. Aber er hätte auch andere Maßnahmen treffen können. Ich kann es nicht sagen, denn ich weiß nicht genau, was sich hinter der Szene abspielte. Auf jeden Fall sind solche Erwägungen nutzlos. Wenn ich diesen Punkt erwähne, so nur aus einem Grund: in einer Gesellschaft, in der solche Trivialitäten, wie der Wunsch eines unbedeutenden Ingenieurs nach einem heißen Bad, imstande sind, die Geschicke zahlreicher Mitmenschen zu beeinflussen, ist etwas faul. Jedenfalls schob ich mein Bad auf und empfing General Vagas. Aber wenn ich damals gewußt hätte, was die Konsequenzen dieser

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