Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
Vom Netzwerk:
Selbstverleugnung sein würden, hätte ich meine Mitmenschen vermutlich zum Teufel gewünscht.
    Er war ein großer, schwerer Mann mit glattem, schon schütter werdendem grauem Haar, braunem Teint, etwas aufgedunsenem Gesicht und dicken, festen Lippen. In den Hautfalten um sein linkes Auge saß unverrückbar ein Monokel ohne Einfassung und ohne Band. Er trug einen dicken, teuer aussehenden schwarzen Ulster und hatte einen dunkelblauen Schlapphut in der Hand. In der anderen hielt er einen Malakkastock.
    Seine Lippen verzogen sich zu einem offenbar höflich gemeinten Lächeln. Aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht. Dunkel, klein und mißtrauisch musterten sie mich, abschätzend von Kopf bis Fuß. Fast instinktiv fiel mein Blick auf den Stock in seiner Hand und auf seine fleischigen, zarten Finger, die ihn lose am oberen Ende festhielten. Für den Bruchteil einer Sekunde standen wir uns so gegenüber. Dann sprach er.
    »Signor Marlow?« Seine Stimme war weich und heiser. Er hüstelte ein wenig nach diesen Worten.
    »Ja. Signor Vagas, nicht wahr? Fortunatissimo. «
    Die kleinen Augen blickten prüfend in die meinen. Bedächtig zog er eine Karte aus der Tasche und überreichte sie mir. Ich warf einen Blick darauf. Maggiore Generale J. L. Vagas stand darauf und eine Adresse am Corso di Porta Nuova.
    »Verzeihen Sie, General. Der Portier hat mir Ihren Namen nicht genau angegeben.«
    »Das hat nichts zu sagen, Signore. Bitte machen Sie sich deshalb keine Sorge.«
    Wir schüttelten uns die Hände, und ich komplimentierte ihn herein. Er schritt, leicht hinkend, zu einem Stuhl und legte sorgsam seinen Mantel, Hut und Stock darauf.
    »Etwas zu trinken, General?«
    Er nickte gnädig. »Danke. Ich nehme einen Cognac.«
    Ich klingelte nach dem Kellner.
    »Wollen Sie Platz nehmen?«
    »Danke.« Er setzte sich.
    »Eine Zigarette?«
    Er sah sich den Inhalt meines Etuis an. »Englisch?«
    »Ja.«
    »Gut, dann werde ich eine rauchen.«
    Ich gab ihm Feuer und wartete. Seine Augen wanderten einen Augenblick im Zimmer umher, dann kehrten sie zu mir zurück. Er rückte sein Monokel sorgfältig zurecht, als wollte er mich besser sehen. Dann fing er zu meiner Überraschung in ziemlich gutem Englisch zu sprechen an.
    »Vermutlich fragen Sie sich, Mr. Marlow, wer ich bin und warum ich Sie besuche.«
    Ich murmelte, daß es mir in jedem Fall ein Vergnügen sei. Er lächelte. Ich hoffte im stillen, daß er das nicht ein drittes Mal tun würde, denn es war eher eine Grimasse als ein Lächeln. Jetzt, da ich wußte, daß er ein General war, konnte ich mir eher ein Bild von ihm machen. In Uniform würde er jedenfalls besser aussehen. Das Hinken? Vermutlich eine Kriegsverletzung. Aber es war etwas Feminines in der Art, wie er sprach und die Hände bewegte, wodurch seine sonstige Persönlichkeit einen grotesken Zug erhielt. Dann bemerkte ich zu meinem Schrecken, daß die Farbflecken unter seinen Backenknochen rote Schminke waren. Auch an seinem Kiefer unterhalb des Ohres konnte ich eine dick aufgetragene Schminkschicht sehen. Fast im selben Augenblick, als ich diese Entdeckung machte, drehte er sich ein wenig in seinem Stuhl herum. Unter gewöhnlichen Umständen hätte ich in dieser Bewegung nichts anderes vermutet als ein bequemes Zurechtrücken, aber jetzt wurde mir klar, daß er dem Licht ausweichen wollte.
    Als Antwort auf meine höfliche Bemerkung zuckte er die Achseln.
    »Wie seltsam ist das doch, Mr. Marlow. Wir hier auf dem Kontinent verbringen unser halbes Leben in der Vorstellung, daß alle Engländer ungehobelte Klötze sind. Und doch sind sie in Wirklichkeit so höflich und sympathisch.« Er hustete leise. »Aber ich darf Ihre Zeit nicht zu sehr in Anspruch nehmen. Ich komme sozusagen in freundschaftlicher Absicht und um mir das Vergnügen zu verschaffen, Sie kennenzulernen.« Er machte eine Pause. »Ich war ein Freund, ein sehr guter Freund von Mr. Ferning.«
    Ein ungeschicktes ›Oh‹ rutschte mir heraus, und ich drückte ihm dann mein Beileid aus.
    Er senkte den Kopf. »Sein Tod war für mich eine große Tragödie. Armer Mann. Die italienischen Autofahrer sind entsetzlich.« Das sagte er glatt heraus und ohne Überzeugung. Glücklicherweise machte es das Erscheinen des Kellners überflüssig, etwas darauf zu erwidern. Ich bestellte die Getränke und steckte mir eine Zigarette an.
    »Ich habe Mr. Ferning leider nicht gekannt«, sagte ich.
    Aus irgendeinem Grund gefiel es ihm, meine Bemerkung zu mißdeuten.
    »Ich auch nicht, Mr.

Weitere Kostenlose Bücher