Anlass
absagte, und wollte mir in völliger Verkennung der Lage noch luxuriösere Behausungen im ersten Stock zeigen. Wir traten einen ungeordneten Rückzug an. Ich muß Fitch veranlassen, mir Näheres über Ferning zu schreiben.
Von meinem Verdacht, daß für Bellinetti bei Übernahme der Wohnung vielleicht Prozente abgefallen wären, schrieb ich Claire nichts. Der Verdacht war mir im selben Moment gekommen, als der Manager den Preis nannte, aber ich hatte ihn wieder fallen lassen, als ich sah, daß meine Ablehnung Bellinetti völlig kalt ließ; schließlich konnte selbst eine großzügige Provision einen solchen Preis nicht erklären.
Inzwischen hatte die Wirkung von Cognac und Bier nachgelassen, und ich fühlte mich hundemüde. Bellinetti hingegen barst vor Tatendrang und wollte sich sofort wieder auf Wohnungssuche begeben, aber ich entschied, daß es am besten sei, für die ersten paar Tage in ein Hotel zu ziehen und dann in Ruhe eine Wohnung zu suchen. Da Bellinetti die Direktion dieses Hotels kennt, kam ich hierher.
Es ist hier nicht so teuer, wie es das Briefpapier vermuten läßt. Momentan scheint Modernismus à la Marinetti en vogue zu sein. Das einzige, was am Parigi modern ist, ist das Warmwassersystem: ständig gurgelt es in der Leitung, und das Zimmer ist geheizt wie ein Ofen. Der Rest ist, würde ich sagen, ein Relikt aus dem Mailand unter Napoleon. Dunkle Gänge, hohe Zimmer, grüner Plüsch und vergoldete Stukkatur, wo man hinschaut. Im Restaurant (fast immer zu zwei Dritteln leer) hängen lange Spiegel, deren Silber an den Rahmen schwarz angelaufen ist. Mein Bett ist eine enorme Mahagonikonstruktion mit einem Baldachin aus Plüsch, eingefaßt mit goldenen Stickereien. Und was den Stuhl angeht, auf dem ich gerade sitze, so hätte ich nie gedacht, daß es so etwas Unbequemes gibt. Das Parigi, würde ich vermuten, ist für seine Besitzer nicht gerade ein Renditeobjekt. Aber ich habe ja die Extras auf der Rechnung noch nicht gesehen.
Mailand als Ganzes hat mich etwas überrascht. Du weißt, wie das ist. Man hat bestimmte Vorstellungen von einer Stadt und ist dann ganz bestürzt, wenn die Wirklichkeit nicht dazu paßt. Vor meinem geistigen Auge hatte ich immer eine Reihe kleiner Häuser im Borghesestil gesehen, die um ein riesiges Rokoko-Opernhaus herumstanden. Untersetzte leidenschaftliche Tenöre, finster dreinhlickende Baritone und ausladende Mezzosoprane mit langen Perlenketten gingen ein und aus. Lärmendes internationales Publikum tummelte sich auf den Straßen. In Wirklichkeit ist Mailand mehr oder weniger eine italienische Ausgabe von Birmingham. Von der Scala habe ich noch nichts gesehen, aber den Plakaten kann man entnehmen, daß dort Ballett gezeigt wird, nicht einmal Oper. Die einzige Sehenswürdigkeit, die ich bisher zu Gesicht bekommen habe, sind die Büros des Popolo d’Italia, von denen Mussolini zu seinem Marsch auf Rom ausgezogen sein soll. Bellinetti hat sie mir gezeigt. Er ist ein begeisterter Anhänger des Fascismo und sagt, daß Italien »durch Blut zum Imperium waten wird«. Wessen Blut das sein wird, hat er nicht gesagt, doch habe ich nicht den Eindruck, daß er einen Tropfen von seinem dazu beitragen will.
Hinterher habe ich erfahren, daß sich Mussolinis Teilnahme am gloriosen Marsch auf Rom darauf beschränkt hat, drei Tage später im Salonwagen in der Ewigen Stadt einzufahren. Wahr ist aber, daß er vom Gebäude des Popolo aus loszog.
Den größten Teil des heutigen Tages habe ich damit verbracht, mich in der Via San Giulio umzusehen. Die Büroräume liegen im vierten Stock eines verhältnismäßig neuen Gebäudes; sie sind zwar klein, aber hell und sauber. Mein Personal besteht aus Bellinetti und zwei Bürokräften, einem Mann und einer Frau. Der Mann ist etwa zweiundzwanzig, blond und sehr gehemmt. Er heißt Umberto, seinen Familiennamen weiß ich nicht. Bellinetti sagt, er liest zu viele Bücher. Er sieht mir so aus, als könnte er hie und da eine rechte Mahlzeit vertragen. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich glaube, Bellinetti ist ein ziemlicher Leuteschinder.
Die weibliche Schreibkraft hat mich verblüfft. Sie heißt Serafina, und ihre Augen sind dunkle, geheimnisvolle Teiche. Ihr Teint ist wie transparentes Wachs, und ihre Kleider würden Dich mit Neid erfüllen. Leider ist sie auch sehr dumm. Ich fürchte, sie ist ein Protektionskind Bellinettis. Sie kann nicht einmal maschineschreiben. Den Anblick ihrer blutroten Fingernägel, die unsicher über die
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