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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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an die Sache.
    Erst als ich zufrieden im dampfenden Wasser lag, fragte ich mich plötzlich mit Verwunderung, warum General Vagas es für nötig fand, einen Stockdegen zu tragen.

4. Kapitel
    Schwarzer Mittwoch
    E
    s gab früher den Brauch, das Andenken an Stunden nationaler Erniedrigung und nationalen Unglücks dadurch festzuhalten, daß man dem betreffenden Wochentag das Adjektiv ›schwarz‹ anhängte. Die Seiten der europäischen Geschichte sind sozusagen mit schwarzen Montagen und Freitagen übersät. Vielleicht hat dieses zwanzigste Jahrhundert mit seinen fast täglichen Großkatastrophen diesen Brauch sinnlos gemacht. Schwarz und weiß sind zu einem schmutzigen Grau zusammengeflossen.
    Aber für mich gibt es einen Mittwoch, der in seiner rußigen Schwärze leicht von Grau zu unterscheiden ist. Es ist der Tag, der auf den meiner Bekanntschaft mit General Vagas folgte.
    Er fing mit meinem Besuch bei der Amministrazione della Polizia an.
    Ich meldete mich mit dem Paß in der Hand kurz nach neun. Nachdem ich den Paß einem Polizisten in monegassischer Uniform und riesigem Säbel eingehändigt hatte, wurde ich in ein Wartezimmer geführt. Außer einer Reihe speckiger Holzstühle und einem tintenbefleckten Tisch enthielt es kein Mobiliar. Von einer Wand blickte finster die mit Fliegenschmutz übersäte Fotografie Mussolinis herab. Ihr gegenüber hing eine ähnliche Aufnahme des Königs Vittorio Emmanuele. Die Rahmen der beiden Porträts waren ziemlich nachlässig mit italienischen Flaggen drapiert. Als ich ankam, saß auf einem der Stühle eine alte Frau in Trauer, die kalte Spaghetti aus einer Wachstuchtasche aß. Nach ungefähr zehn Minuten wurde sie von dem Polizisten hinausgerufen, und ich blieb mit dem apoplektisch stierenden Duce allein.
    Ich wartete eineinviertel Stunden lang. Nach den ersten fünfundvierzig Minuten ging ich zur Tür und beklagte mich bei dem Polizisten. Ich hätte zu arbeiten, protestierte ich. Er antwortete nur mit einem Achselzucken und einer vagen Versicherung, daß mein Fall schon bearbeitet werde. Ich zog mich wieder ins Wartezimmer zurück. Als er endlich in der Tür erschien und mir ein Zeichen machte, war meine Stimmung schon etwas gereizt. Was dann folgte, trug nicht zu ihrer Verbesserung bei.
    Ich wurde in einen Raum geführt, in dem ein Mann in dunkelgrüner Uniform saß. Er räkelte sich in seinem Drehstuhl und blätterte in einer Illustrierten. Ein glänzend bestiefeltes Bein hing über eine Lehne des Stuhls, den er so herumgedreht hatte, daß ich, als ich hereinkam, nur seinen Nacken sehen konnte. Er versenkte sich noch intensiver in sein Magazin und nahm keine Notiz von mir. Mit wachsendem Ärger betrachtete ich seinen Nacken.
    Der war plump und braun und quoll über den schmalen Streifen des weißen Kragens heraus. Ich fand diesen Nacken und seinen Besitzer ekelhaft. Er überflog die letzte Seite, warf dann die Illustrierte auf den Schreibtisch und drehte sich zu mir herum. Meinen Ekel fand ich prompt bestätigt. Sein Gesicht war klein, glatt, rund und boshaft. Er schoß mir einen ärgerlichen Blick zu.
    »Ja, was wünschen Sie?«
    »Meinen Paß.«
    »Und warum soll ich Ihren Paß haben? Hinaus!«
    Da ich annahm, daß der blöde Polizist mich wahrscheinlich in das falsche Zimmer gewiesen hatte, wandte ich mich zum Gehen.
    »Warten Sie.«
    Ich blieb stehen.
    »Wie heißen Sie?«
    »Marlow.«
    »Engländer?«
    »Ja.«
    »Aha!« Er wandte sich zum Tisch, zog meinen Paß unter der Zeitschrift hervor und blickte auf den Namen. »Ja, richtig, Signor Marlow, der Engländer.« Er lächelte unangenehm.
    »Allerdings, Signore«, rief ich ärgerlich aus. »Und ich möchte wissen, warum man mich eineinviertel Stunden warten ließ.« Ich deutete mit dem Kopf zur Illustrierten. » Meine Zeit ist nämlich kostbar.«
    Das war vielleicht unklug von mir, aber ich konnte mich nicht zurückhalten. Die Aussicht, mit meiner Arbeit im Büro ein gutes Stück weiterzukommen, war rapide gesunken. Ich war wütend. Trotzdem, als die Worte heraus waren, wußte ich, daß ich eine Dummheit begangen hatte.
    Seine Lippen strafften sich. »Ein bißchen mehr Respekt, bitte«, sagte er kurz angebunden, »und reden Sie mich gefälligst mit Signor Capitano an!«
    Ich sah ihn nur wütend an.
    »Allora.« Er wandte sich dem Paß zu und zog einen Bogen Papier zu sich heran. »Sie werden mir jetzt einige Fragen beantworten.«
    »Bitte sehr.« Sorgfältig vermied ich das Signor Capitano.
    Mit großer Umständlichkeit

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