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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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und huldvoll nickte.
    Ich warf ihnen einen mürrischen Blick zu und ging in mein Büro. Bellinetti folgte mir.
    »Ist etwas nicht in Ordnung, Signore?«
    Ich erzählte ihm ungeduldig, wie ich meinen Morgen verbracht hatte.
    Er verzog die Lippen. »Das ist schlimm. Ich werde mit meinem Schwager darüber sprechen. Er ist ein netter Kerl und hat einen Freund, der einen hohen Funktionär in der Amministrazione kennt. Aber es besteht kein Grund zur Besorgnis«, fuhr er fröhlich fort. »Das Geschäft ist in bester Ordnung. Es regelt sich alles auf das beste.«
    Es kostete mich genau vier Stunden, um herauszufinden, wie wunderbar sich in Wirklichkeit alles im Mailänder Büro der Spartacus Machine Tool Company regelte. Die Erfahrung war höchst deprimierend. Es hatte sich alles zu einem abscheulichen Durcheinander geregelt.
    In Schubladen und Kästen fand ich Stapel von Korrespondenz.
    »Die Akten«, erklärte Bellinetti stolz.
    Ich sah mit ihm einen Stapel durch. Etwa die Hälfte davon bestand aus unbeantworteten Bitten und Informationen verschiedenster Art, die andere bestand aus Abrechnungen, die schon vor mehr als sechs Monaten nach Wolverhampton hätten gehen sollen.
    Diese hielt ich ihm unter die Nase. »Vielleicht haben Sie nicht gewußt, wie man die Briefe zu beantworten hat«, sagte ich, »aber Sie hätten doch wenigstens wissen können, daß diese Abrechnungen nach England gehören.«
    Er sah mich Böses ahnend an und lächelte unsicher.
    »Signor Ferning sagte, die müßten hier bleiben, Signore.«
    Es war eine offenkundige Lüge. Aber ich sagte nur »Aha« und wandte mich dem nächsten Kasten zu. Das war offenbar ein Fehler, denn nun, da er scheinbar die Formel gefunden hatte, die meine Kritik zum Schweigen brachte, berief er sich bei jeder neuen Unterlassung, die ans Licht kam, auf meinen Vorgänger. Er, Bellinetti, habe gewußt, daß es nicht richtig war, aber – ein Achselzucken – Signor Ferning habe gesagt … Er hätte ja nicht mit Signor Ferning streiten können. Signor Ferning habe das Vertrauen Volver’amptons besessen. Er, Bellinetti, habe sein Bestes getan, aber seine Dienste seien nicht anerkannt worden. Ich gab es bald auf, kehrte in mein Zimmer zurück und setzte mich hinter Berge von »Akten«, die nun auf meinem Schreibtisch lagen. Bellinetti trat vor mich wie Daniel vor den König.
    Fünf Minuten lang redete ich ununterbrochen. Er hörte lächelnd alles an. Als ich fertig war, hatte sich aber die Art seines Lächelns sehr geändert, und ich sah zu meiner Genugtuung einen neuen Bellinetti durchscheinen – einen Bellinetti, der mich am liebsten erdolcht hätte.
    Schließlich zuckte er geringschätzig die Schultern. »Diese Dinge«, sagte er, »gehören nicht in mein Ressort. Signor Ferning trägt die Verantwortung.«
    »Signor Ferning ist seit zwei Monaten tot.«
    »Ohne Hilfe kann ich nichts tun. Umberto ist ein Kretin.«
    Ich ließ das hingehen. Ich hatte mir im Laufe des Nachmittags meine eigene Meinung über Umberto gebildet.
    »Wer hat die Signorina eingestellt?«
    Ich hatte schon herausgefunden, daß sie erst nach Fernings Tod engagiert worden war, und er wußte, daß ich es wußte.
    »Ich, Signore. Ich brauchte notwendig eine Hilfskraft. Die Signorina war eine große Hilfe, während ich hier mit der Verantwortung für Ihre englische Gesellschaft allein saß.«
    »Die Signorina kann nicht einmal maschineschreiben.«
    »Sie ist meine Sekretärin, Signore.«
    »Sie haben keine Sekretärin, Bellinetti. Die Signorina muß gehen. Sie können es ihr entweder selbst sagen, oder ich werde es tun. Jetzt seien Sie so freundlich und rufen Sie Umberto herein. Sie brauchen heute nicht mehr hierzubleiben. Ich erwarte Sie morgen früh um neun; wir werden dann zusammen Ihre » Akten« durchgehen. «
    »Das Büro wird erst um zehn Uhr geöffnet, Signore.«
    »Von nun an öffnen wir um neun.«
    Das Lächeln war mehr ein Zähnefletschen. Er zog sich zurück und warf die Tür hinter sich zu. Ein paar Minuten später erschien ein völlig verschüchterter Umberto.
    »Sie wünschen mich zu sprechen, Signore?«
    »Ja, Umberto. Wieviel verdienen Sie in der Woche?«
    »Achtzig Lire, Signore.«
    »Mit Beginn dieser Woche bekommen Sie hundert Lire pro Woche.«
    Einen Augenblick glotzte er mich an. Dann brach er zu meinem Entsetzen in Tränen aus. Nach einer Weile stammelte er seinen Dank. Er lebte bei seinem Großvater, der ans Bett gefesselt war. Sein Bruder diente seine Militärzeit ab. Seine Mutter war bei

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