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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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seiner Geburt gestorben. Seinen Vater hatten die Squadristi 1923 getötet. Ich sei sein Wohltäter, erklärte er schluchzend.
    Sobald ich konnte, sandte ich ihn nach Hause und begann den Angriff auf Fernings Schreibtisch.
    Die Laden waren mit Blaupausen, Aufstellungen, deutschen Katalogen von Werkzeugmaschinen und Memoranden von Pelcher und Fitch vollgestopft. Aber es herrschte irgendwie Ordnung in der Art, wie die Dinge abgelegt waren. Ich vermutete, daß der Schreibtisch seit Fernings Tod nicht angerührt worden war. Der Ton der Korrespondenz von Wolverhampton war herzlich und sachlich zugleich. Ich fand auch ein Gebiß in einer dicken Pappschachtel, zwei schmutzige Taschentücher, ein Stück Seife, ein Rasiermesser, einen Rechenschieber, eine leere Stregaflasche und einen kleinen Notizblock mit losen Blättern. Ich legte diese Sachen zur Seite und begann die Papiere zu sortieren.
    Ich vertiefte mich so in meine Aufgabe, daß es acht Uhr war, als ich auf meine Armbanduhr sah und beschloß, die Arbeit zu beenden. Ich hatte Bellinetti für neun Uhr ins Büro bestellt. Ich mußte achtgeben, daß ich selbst rechtzeitig kam. Außerdem hatte ich außer etwas Obst, das ich mir am Nachmittag von Umberto hatte holen lassen, seit dem Frühstück nichts gegessen. Es war Zeit fürs Abendessen.
    Ich stand auf und holte meinen Mantel. Als ich ihn anzog, streifte ich damit den Tisch und warf den Notizblock herunter. Ich nahm ihn auf. Er war auseinandergefallen und eines der Blätter hatte sich losgerissen. Fast automatisch schob ich es wieder an seinen Platz und machte die Klammer fest. Dann hielt ich ein und sah nochmals darauf. Die Seite war mit winzigen Bleistiftnotizen bedeckt. Aber nicht die Notizen hatten meinen Blick gefesselt. Oben auf dem Blatt stand mit Bleistift in Druckschrift das Wort VAGAS .
    Ich hielt den Notizblock unter die Lampe und begann zu lesen. Die Aufzeichnungen begannen folgendermaßen:

    VAGAS
    30. Dez.

    S.A. Braga. Turin. 3 spz adapt 25+40mm AFK L64 L 60 Bofors 1200+ 1 stand 10.5cm MFG 150+
    40000 ss LSpez 6m pzg mgs 1.2m 14mt 6x55cm 30el Mtg Gen

    Der Rest der Seite war mit ähnlichen Hieroglyphen angefüllt. Ich prüfte sie genau. Es konnte natürlich sein, daß sich Name und Datum auf eine Verabredung bezogen und mit den übrigen Aufzeichnungen nichts zu tun hatten, aber das war unwahrscheinlich. Die ganze Seite sah aus, als sei sie zur selben Zeit geschrieben worden. Ich sah die andern Seiten an. Sie waren alle unbeschrieben. Man schrieb doch nicht eine Verabredung auf einen Block, den man nicht regelmäßig benutzte. Wenn also Vagas und der dreißigste Dezember zu den Aufzeichnungen auf der Seite gehörten, wer war dann S.A. Braga in Turin, und was bedeutete das übrige? Es sah ganz danach aus, als ob Ferning irgendwie geschäftlich mit Vagas zu tun gehabt hätte. Das paßte aber nicht in das Bild, das ich mir von der Beziehung zwischen Vagas und Ferning gemacht hatte.
    Ich faltete die Seite zusammen und steckte sie in meine Brieftasche. Wieder ertappte ich mich bei dem Wunsch, mehr über Ferning zu wissen. Ich hatte nur eine ganz vage Vorstellung von ihm. Nach Pelchers Beschreibung war er nervös und sensibel. Nach Vagas war er ein »platonischer Realist« mit einer Vorliebe für Ballettmädchen. Das britische Konsulat bezeichnete ihn als »reizend«. Es war zweifellos gleichgültig, wie er war, aber ich war doch neugierig. Ich hätte gern eine Fotografie von ihm gesehen.
    Ich löschte das Licht, verschloß die Tür und stieg die Treppe hinunter. Sie war dunkel, aber aus einer halboffenen Tür im dritten Stock fiel ein Lichtstrahl auf den Treppenabsatz. Ich ging daran vorbei und wollte eben die nächsten Stufen hinabgehen, als sich die Tür öffnete und ein Mann heraustrat. Ich wandte mich halb um. Er stand mit dem Rücken gegen das Licht, und im ersten Moment erkannte ich ihn nicht. Dann sprach er. Es war der Amerikaner.
    »Hallo, Mr. Marlow.«
    »Guten Abend.«
    »Sie sind spät an der Arbeit.«
    »Es gibt gerade viel zu tun. Aber Sie arbeiten ja auch noch.«
    »Die Geschäfte sind nicht so gut, wie es aussieht. Ich habe nur auf ein Ferngespräch gewartet. Wie wär's mit einem Drink?«
    Ich fühlte plötzlich das Verlangen nach jemand, der englisch sprach.
    »Ich wollte eben essen gehen. Wollen Sie mir Gesellschaft leisten?«
    »Gerne. Ich will nur zusperren. Es macht zwar keinen Unterschied, ob man zusperrt oder nicht«, meinte er dabei, »denn die portinaia hat einen Nachschlüssel, aber man

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