Anlass
nach.
Als ich fertig war, sagte ich: »Ich denke, ich nehme einen Cognac zum Kaffee.«
»Haben Sie schon einmal Strega probiert?«
»Nein, aber ich denke, dieses Vergnügen hebe ich mir für später auf. Ich möchte jetzt lieber Cognac. Nehmen Sie auch einen?«
»Danke.« Er sah mich einen Augenblick an, dann sagte er: »Wer hat sonst noch nach Ferning gefragt?«
»Ein Mann, der sich General Vagas nennt. Kennen Sie ihn?«
»Der Kerl, der sich wie ein Schaukelpferd herrichtet?«
Ich lachte. »Das ist er. Anscheinend ein Jugoslawe. Er lud mich für nächste Woche zum Diner mit ihm und seiner Frau ein. Wissen Sie etwas über ihn?«
»Nicht viel.« Sein Ausdruck war ganz undurchsichtig geworden. Er hörte mir kaum zu. Plötzlich schnippte er mit den Fingern, und sein Gesicht strahlte triumphierend. »Ich hab’s!« Er strahlte mich an. »Sie wissen, wie es ist, Marlow, wenn man das Gefühl hat, man hat irgendwo etwas verloren und weiß nicht was? So ein Gefühl hatte ich gerade. Jetzt ist es mir wieder in den Sinn gekommen. In meinem Büro hab ich eine Fotografie von Ferning. Möchten Sie sie sehen?«
Ich war ziemlich überrascht über dieses plötzliche Interesse.
»Ja, gewiß, gern. Vielleicht könnte ich morgen irgendwann herunterkommen.«
»Morgen?« Er sah mich ungläubig an. »Nicht morgen. Wir gehen ins Büro zurück, wenn wir von hier aufbrechen. Dort hab ich auch eine Flasche Cognac. Den richtigen. Nicht so wie hier.«
»Ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen.« Es reizte mich gar nicht, um diese Nachtzeit nochmals zur Via San Giulio zurückzukehren.
Aber er war nicht davon abzubringen. »Macht durchaus keine Umstände, Marlow. Ich tu Ihnen gern den Gefallen. Kann gar nicht verstehen, wieso ich nicht früher daran dachte. Es ist zwar nur ein Schnappschuß, und nicht mal ein besonders guter. Er brauchte ein paar Bilder für seine Identitätskarte, und ich hatte eine Kodak. Ich hatte es ganz vergessen.« Plötzlich wechselte er das Thema. »Wie kommen Sie mit Bellinetti aus?«
»Es geht«, sagte ich vorsichtig. »Ich glaube, er mag mich nicht besonders.«
»Gewiß, gewiß« – er nickte weise – »nur natürlich für einen Menschen in seiner Lage.« Er rief den Kellner, verlangte die Rechnung und bestand darauf, sie zu bezahlen, was mir unangenehm war.
Auf unserem Rückweg zum Büro verfiel er wieder in Schweigen. Ich vermutete, daß er seinen Enthusiasmus von vorhin bedauerte, und schlug noch einmal vor, daß ich genausogut morgen kommen könnte. Die Antwort war ein Strom von gegenteiligen Versicherungen. Er wollte nichts von Warten wissen. Außerdem warte der Cognac auf uns. Er habe nur versucht, sich genau zu erinnern, wo die Fotografie läge, das sei alles. Also gingen wir weiter. Er kam mir sehr merkwürdig vor, ganz und gar nicht, wie ich mir Amerikaner vorstellte. Allerdings haben Engländer oft merkwürdige Vorstellungen von einem Amerikaner. Aber er war merkwürdig. Er hatte etwas Anziehendes an sich. Es war nicht so sehr, was er sagte, sondern wie er es sagte. Er konnte einen mit einer Geste verwirren, durch die Art, wie er seine Bemerkungen anbrachte. Man wußte aber nicht genau, woher diese Verwirrung stammte. Man hatte das Gefühl, einen sehr geschickten Schauspieler vor sich zu haben, der alle technischen Tricks seines Repertoires aufbietet, um etwas aus einer schlechten Rolle herauszuholen. Es war etwas an ihm, was zur Analyse herausforderte, und sie gleichzeitig illusorisch machte. Ich sah ihn von der Seite an. Sein Kinn war in einem dicken Wollschal verborgen, den er zweimal um den Hals gewunden hatte, und er starrte düster vor sich hin, als erwarte er eine Fußangel auf dem Pflaster. Er war das Bild eines Mannes, den etwas beschäftigt.
In seinem Büro knipste er die Schreibtischlampe an.
Es war ein großer Raum, größer als meiner und sehr ordentlich, mit einer Reihe von Stahlfächern längs der einen Wand und einem dazu passenden grünen Stahlschreibtisch. Aber an der Wand hinter dem Schreibtisch hing eine grauenhaft kolorierte Fotografie der Venus von Medici. Er merkte, daß ich hinsah.
»Ist sie nicht süß? Ich behalte sie als Erinnerung an Herrn Saponi. Eines Tages werde ich ihr einen Schnurrbart und ein Monokel anmalen. Setzen Sie sich und machen Sie sich’s bequem.«
Er holte eine Flasche Cognac hervor, goß zwei Weingläser halbvoll und schob mir eine Schachtel Zigaretten hin. Dann ging er zu einem der Fächer und begann die Kartothekblätter darin zu
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