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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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Gefährten werfen. Der jüngere Mann zog die Stirn kraus. Offenbar war das Wort ›Genosse‹ schuld daran. Ich fand es sehr taktlos von Zaleshoff.
    Der Radprüfer nickte langsam. »Ja, ihr könnt euch setzen«, sagte er.
    In einer Ecke des Büros standen ein paar Kisten. Wir gingen hin und setzten uns darauf. Zaleshoff begann leise zu summen.
    Ich starrte niedergeschlagen auf den Bretterboden. Das war nun also das Ende unseres Planes, aus dem Lande zu kommen! Wir hätten uns die vierundzwanzig Stunden Fußweg sparen können, dachte ich bitter. Ich hatte mir ja immer gesagt, daß es hoffnungslos war und daß Zaleshoff nur die Katastrophe hinausschob. Aber jetzt, wo es soweit war, war ich enttäuscht. Ich hatte doch etwas anderes erwartet, überlegte ich. Ich hatte erwartet, erkannt zu werden. In Gedanken spielte ich mir die Szene vor, wie sie sich abgespielt hätte. Ich sah vor mir das plötzliche Aufleuchten in den Augen meines Häschers, wenn er realisierte, daß er zehntausend Lire verdient hatte. Dann die Formalitäten bei der Polizei und der Transport unter bewaffneter Eskorte nach Mailand. Ich stellte mir die gezwungene Höflichkeit des jungen Mannes auf dem Konsulat vor. »Natürlich, Mr. Marlow (oder würde er das Mister auslassen?), wir werden alles tun, was wir können, aber …« Oder vielleicht würde es gar nicht soweit kommen. »Auf der Flucht erschossen«, war der Ausdruck, den Zaleshoff gebraucht hatte. »Sie müssen niederknien, und dann schießt Ihnen von hinten einer eine Kugel durchs Genick.« Das war gräßlich. Man kniete nieder, als wollte man beten. Es war etwas Hilfloses und Jammervolles um einen knienden Menschen. Ich gähnte. Immer wieder mußte ich gähnen. Es war zu dumm. Ich war weder müde noch gelangweilt – weiß Gott, nein! Ich hatte Angst, grauenhafte Angst, und dabei gähnte ich. Es war grotesk. Es schüttelte mich.
    Zaleshoff summte immer noch vor sich hin. Es war irgendein Marsch. Es ging immer weiter, in gleichförmigem, schwerfälligem Rhythmus. Ich schlug unwillkürlich mit dem Fuß den Takt dazu.
    »Aufhören!«
    Es war der Radprüfer, der das sagte. Er sagte es verärgert und gereizt. Aber in seinen Augen war ein aufmerksamer, bekümmerter Ausdruck, der mir zu denken gab. Ich hatte plötzlich das Gefühl, daß etwas vorging, was ich nicht verstand. Der Wagenschmierer beobachtete Zaleshoff scharf. Draußen ratterte langsam eine Lokomotive vorüber. Dann geschah es.
    Zaleshoff zog die Cognacflasche aus der Tasche.
    »Dürfen wir einen Schluck nehmen, Genosse?« fragte er.
    Der Wagenschmierer machte eine Bewegung nach vorwärts, als ob er ihn aufhalten wollte, aber der Ältere nickte.
    »Er hat was vor«, rief der Wagenschmierer plötzlich und wandte sich anklagend an seinen Kameraden. »Du dreckiger Roter!«
    Der Radprüfer hob drohend den Hammer. Sein Mund wurde hart. »Halt dein Maul«, sagte er langsam, »oder ich schlag dir den Schädel ein.«
    Ich war verblüfft. Ich blickte auf Zaleshoff. Er entkorkte, als ob nichts geschehen wäre, die Flasche. Dann hielt er sie mir hin. Ich schüttelte den Kopf und starrte ihn an.
    »Du wirst nicht so bald wieder zu einem guten Schluck kommen«, sagte er achselzuckend. »Man serviert so was nicht im Gefängnis.«
    Er setzte die Flasche an den Mund und hob sie. Es war nicht mehr viel darin, und ich sah, daß die Flüssigkeit seinen Mund nicht berührte. Er setzte ab und schmatzte mit den Lippen.
    »Das tut gut«, sagte er. Er stand langsam auf und reichte die Flasche dem Wagenschmierer.
    »Trink Genosse!« sagte er.
    Der Mann blickte finster drein und wollte eben ablehnen. Da trat Zaleshoff vor und machte eine rasche Bewegung mit der Flasche.
    Im nächsten Augenblick taumelte der Wagenschmierer zurück und fuhr sich mit den Händen an die Augen. Der Cognac lief ihm die Wangen herunter. Fast im gleichen Augenblick fuhr Zaleshoffs Arm mit der Flasche in die Höhe und zerschlug die elektrische Birne.
    Nach dem grellen Licht der Lampe wirkte die Dämmerung pechschwarz. Der Wagenschmierer schrie und fluchte. Dann ein kurzes Handgemenge, Getrampel und Stöhnen. Der Wagenschmierer hörte auf zu schreien. Eine plötzliche Stille trat ein. Für den Bruchteil einer Sekunde stand ich benommen da, dann gewann ich wieder die Herrschaft über meine Sinne und sprang in Richtung Tür. Es war Wahnsinn, das wußte ich. Der Mann mit dem Hammer würde uns niederschlagen, ehe wir draußen waren. Dann faßte mich eine Hand an der Schulter. Ich fuhr herum

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