Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
Vom Netzwerk:
die Bahnlinie.
    Sie kam aus einem Einschnitt im Gelände, der einen halben Kilometer unter uns lag. Aus irgendeinem Grunde deprimierte mich der Anblick. Wir waren angekommen. Aber das Schlimmste stand uns noch bevor. Die im Bogen verlaufenden Schienen sahen durchaus nicht einladend aus.
    »Was jetzt?« fragte ich hilflos.
    »Jetzt warten wir, bis es dunkel wird.«
    Wir fanden in der Nähe der Kurve eine Grube, die durch Gras und Haufen von braunen Steinen abgeschirmt war und aßen dort die Reste unseres Proviants. Wir spülten sie mit etwas Cognac hinunter. Meine Augen brannten und stachen und waren halb zugeschwollen, aber ich fühlte mich plötzlich sehr lebendig.
    »Wir sollten unsere Mäntel und Schals anziehen«, sagte Zaleshoff, »es wird bald kühl werden.«
    Schweigend lagen wir da und schauten zu, wie die Sonne größer und röter wurde, als sie in die blauweißen Wolken sank, die sie zu erwarten schienen. Das Licht wurde schwächer. Als es beinahe dunkel war, verließen wir unser Versteck und gingen hinunter zur Eisenbahnlinie. Wir marschierten von dem Geländeeinschnitt weg dem Geleise entlang. Als wir die Lichter des Bahnhofs sahen, war es ganz dunkel.
    Langsam näherten wir uns dem Bahnhof. Er war sehr klein. Wie bei den meisten italienischen Landbahnhöfen waren keine Bahnsteige vorhanden, nur das weißgetünchte Stationsgebäude mit einem sauberen Holzzaun und beschnittenen Hecken. Auf der einen Seite waren ein Bahnübergang und ein Signalhäuschen. Ein elektrischer Scheinwerfer tauchte vor einem hohen Betonpfeiler den Platz vor dem Stationsgebäude in helles Licht. Dort standen zwei Männer im Gespräch. Der eine war der Stationsvorsteher, der andere ein faschistischer Milizsoldat mit einem Gewehr über dem Rücken.
    »Was macht der da mit dem Gewehr?« flüsterte ich naiv.
    »Was glauben Sie wohl?« antwortete Zaleshoff. »Das Rangiergleis liegt auf der anderen Seite. Wir wollen ein Stück zurückgehen und die Gleise ein bißchen weiter unten überschreiten.«
    Wir tasteten uns längs des Drahtzauns, der den Bahndamm einsäumte, zurück, krochen unten durch und huschten über die Gleise. Auf der anderen Seite blieben wir innerhalb des Zaunes, und arbeiteten uns langsam zum Bahnhof vor.
    Der Schienenstrang lag nur ein paar Fuß höher als die umliegenden Felder, und wir mußten auf allen vieren kriechen, um in Deckung zu bleiben. Dann beschrieb der Zaun einen Bogen nach links, und ich sah vor mir die plumpen Umrisse von planenbedeckten Güterwagen. Einige Sekunden später konnten wir wieder aufrecht stehen, denn wir hatten die Güterwagen zwischen uns und dem Bahnhofgebäude.
    Es standen etwa 20 Waggons auf dem Rangiergleis, und alle schienen beladen zu sein. Wir gingen an ihnen entlang, bis wir zum Prellbock am Ende kamen. Dann blieb Zaleshoff stehen.
    »Genau das, was wir brauchen«, flüsterte er. »Alle beladen und fertig zur Abfahrt. Wahrscheinlich hat man letzte Nacht aufgeladen. Kommen Sie.«
    Er ging ein bißchen zurück und blieb dann stehen.
    »Geben Sie mir Ihre Streichhölzer«, murmelte er.
    Schweigend reichte ich sie ihm. Er zündete eins an, und indem er es mit der hohlen Hand schützte, beleuchtete er damit die Seite des Waggons. Dort war ein kleiner Metallrahmen angebracht, in dem eine Karte steckte. Es war eine Menge darauf geschrieben, aber Zaleshoff blies das Streichholz sofort wieder aus. Ich hatte nur ein paar Worte gelesen: TORINO A VENEZIA – DIRETTORE PROV.MAR.
    »Direktion Venedig für Marinelieferungen«, murmelte Zaleshoff. »Damit kommen wir nicht nach Udine, weil er vorher abgehängt wird, aber immerhin ein Stück weiter.«
    Er ergriff einen der Stricke, mit denen die Plane festgebunden war, und knotete ihn auf. Dann packte er eine eiserne Stange, kletterte die kleinen Tritte seitlich des Waggons hinauf und schlug die gelockerte Ecke der Plane zurück. Ich folgte ihm. Im nächsten Augenblick schlüpfte ich unter die Plane. Mein Fuß stieß gegen etwas hartes, Schlüpfriges.
    »Um Gottes willen, was ist das?« flüsterte ich.
    Ich hörte ihn in der Dunkelheit leise lachen. »Eine Eierkiste. Knien Sie nieder und fühlen Sie. Sie sollten etwas davon verstehen.«
    Ich kniete nieder, und dann verstand ich, warum er gelacht hatte. Der Waggon war mit großen Schiffsgranaten beladen, die aufrecht in Holzgestellen standen. Ich konnte ihre kalte, glatte Oberfläche fühlen, dort, wo sie sich zum Ringbolzen verjüngten, der montiert worden war, um sie besser herausheben zu können,

Weitere Kostenlose Bücher