Anleitung zum Alleinsein
der Wachstumsmöglichkeiten. Über die Post, sagt er, gebe es keine Klagen, allerdings würden nur wenige seiner Kunden Pakete mit der Post verschicken.
In der klimatisierten Kühle von Kators Laden, zwischen nicht summenden, beigefarbenen Geräten im Energiesparmodus, erscheint mir der Weg in die Privatisierung – in eine fragmentierte Republik der irrsinnigen Schnäppchen und unfeinen Übervorteilungen – genauso unwiderstehlich wie der Gedanke, dass der Ort, an dem sich die Amerikaner einfinden sollen, um Teil des Systems zu sein, das sie regiert, kein kleinstädtisches Postamt mit den Stars and Stripes in der Schalterhalle mehr ist, sondern ein Einzelhandelsgeschäft im Speckgürtel mit neonfarbenen Plakaten (WIR FÜHREN PIEPSER) im Schaufenster.
Wieder in der Stadt, nach einer erneut unangenehmen Fahrt auf dem Superhighway, ergebe ich mich dann doch der Nostalgie. Ich denke daran, mit welcher Freude Mary Ann Smith die Weihnachtskarte geschrieben hat, «mit Goldfolienumschlag und goldgeprägtem Absender», die ihr ein ehemaliger Stadtrat aus dem Gefängnis schickte. Ich denke daran, mit welcher Freude ich selbst reagiert habe, als ich herausfand, dass Debra Hawkins, bevor sie Expertin für Öffentlichkeitsarbeit wurde, als einfache Angestellte im Hauptpostamt arbeitete, wo sie Post für den Stadtteil Pilsen sortierte und so vielleicht auch meine Briefe, die ich an meinen Bruder schickte, in Händen hielt. Ich denke an den Zusteller aus Evanston, Erich Walch, der gesagt hat, die Kunden auf seiner neuen Tour hätten allesamt seinen Vorgänger nicht leiden können und deshalb genauso wenig ihn. «Es hatüber ein Jahr gedauert, bis die ersten in mir ein menschliches Wesen gesehen haben und nicht nur grimmig geworden sind, wenn ich ihnen einen guten Morgen gewünscht habe, aber ich habe ihre Einstellung geändert.» Ich denke an die alten polnischamerikanischen Frauen, die auf ihrer Veranda stehen und übers ganze Gesicht strahlen, wenn sie ihre Umschläge aus der Hand des afroamerikanischen Zustellers entgegennehmen, der in seinem anderen Leben Prediger ist. Ich denke an die Post, die sich bei mir zu Hause in Philadelphia stapelt, und ich empfinde eine große Vorfreude auf sie.
Was uns den Anblick eines Menschen in Postuniform willkommen macht, ist nicht einfach die Möglichkeit, dass er uns einen Liebesbrief oder einen Lotteriegewinn bringt. Es sind die Hoffnung und der Glaube, dass die Post uns
dient
. Seit sie von Postreitern in abgelegene Appalachensiedlungen gebracht wurde, bietet die amerikanische Post einem einsamen Volk ein universelles menschliches Handauflegen. Das ist so heilig wie nur irgendwas in diesem Land. Brennende Post unter einer Eisenbahnbrücke versetzt unserer Unschuld denselben Schlag wie Päderastie bei Priestern, und sobald ein Sakrament nach der Art von Fernsehpredigern virtuell gespendet wird, reduziert es Gläubige auf Konsumenten. Von allen Chicagoern, mit denen ich gesprochen habe, ist selbst der Verzweifeltste nicht dafür, die Post zu zerschlagen.
Am 1. August kam Rufus Porter der alten Bitte Gayle Campbells nach, von der Filiale Hyde Park versetzt zu werden. Sie ist jetzt Koordinatorin eines externen Teams, das die Laufzeit von Briefen misst. Als Campbell ihrem Arzt erzählte, was ihre neue Aufgabe sei – die Aufsicht über Abholung und Auslieferung der Briefpost, ohne das Beaufsichtigte beeinflussen zu können –, sagte er: «Die wollen Sie kaputt machen.» Unlängst bezahlte sie einer Zeitarbeiterin, die einen Tag lang Messdaten eingab, 278 Dollar aus eigener Tasche, und als nicht einmal das sie zufriedenstellte,stand sie um zwei Uhr morgens auf, um die Daten selbst in ihr Notebook einzugeben. «Wenn ich es nicht mache», sagt sie, «wer dann?»
Campbell und ich sind geteilter Meinung, wenn es um die Frage geht, was sie kaputt macht. Als das eigentliche Opfer sucht sie nach Schuldigen. Sie sieht eine böse Allianz aus betrügerischen Managern und arroganten Gewerkschaften, die ihr Ideal vom Kundenservice unterlaufen. Ich dagegen muss leider beide Seiten der Medaille sehen, das Persönliche und das Strukturelle. Ich sehe eine Frau, deren Arbeit ihr Leben ist. Ich sehe auch ein Wirtschaftssystem, das die Stadt kaputt macht, in der Campbell lebt – ausgerechnet die Stadt, in der der moderne Warenmarkt erfunden wurde. Die Chicagoer Post ist das Relikt eines älteren, auf Zuständigkeit und Verantwortung basierenden Modells, dem selbst die Führungsriege der Post in
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