Anleitung zum Alleinsein
Reihe von Frauen mittleren Alters mit ellenlangem Gesicht, die an einer ellenlangen Kent pafften und zwanghaft Silberdollars in die Schlitze steckten. Wenn jemand zu mir sagt, Zigaretten seien sexy, denke ich an Nevada. Und wenn ich einen Schauspieler oder eine Schauspielerin in einem Film einen tiefen Zug tun sehe, stelle ich mir vor, wie die Pyrene und Phenole die zarten Epithelzellen und hart arbeitenden Zilien ihrer Bronchien verwüsten,wie das Monoxid und Cyanid sich an ihr Hämoglobin binden, wie ihr chemisch in Panik geratenes Herz ächzt und stöhnt. Zigaretten sind das Destillat einer allgemeineren Paranoia, die unsere Kultur befallen hat, das schreckliche Wissen um die Anfälligkeit unseres Körpers in einer Welt molekularer Gefahren. Sie machen mir eine Heidenangst.
Weil ich in der Lage bin, nahezu alles an Zigaretten zu verabscheuen (von Zigarren wollen wir erst gar nicht reden), und ich meine vermeintlich letzte Zigarette vor fünf Jahren geraucht und nie einen Aschenbecher besessen habe, fällt es mir leicht, mich für nikotinfrei zu halten. Doch wenn der Mann, der meinen Namen trägt, kein Raucher ist, warum hat er dann zu Lüftungszwecken einen Ventilator im Wohnzimmerfenster? Warum liegt am Ende eines jeden Arbeitstages eine kleine Sammlung Zigarettenkippen auf der Untertasse, die auf dem Tisch vor diesem Ventilator steht?
Zigaretten waren in meinem in kultureller Hinsicht konservativen Elternhaus das absolute Tabu – sogar noch geächteter als Sex oder Drogen. Ein Jahr vor meiner Geburt starb der Vater meiner Mutter an Lungenkrebs. Er hatte sich als Soldat im Ersten Weltkrieg das Rauchen angewöhnt und sein ganzes Leben stark geraucht. Jeder, der meinem Großvater begegnet war, scheint ihn gemocht zu haben, und wie sehr ich den Gesundheitswahn in Amerika auch verspotten mag – die Erhebung der Fitness zu einer Gottheit und bloßer Langlebigkeit zu einem Zeichen göttlicher Gunst –, bleibt doch die Tatsache, dass ich, hätte mein Großvater nicht geraucht, ihn vielleicht noch hätte kennenlernen können.
Meine Mutter spricht von Zigaretten weiterhin mit Abscheu. Ich selbst habe heimlich als Student mit dem Rauchen angefangen, zum Teil vielleicht, weil sie es abstoßend fand, und im Lauf der Jahre entwickelte ich eine Furcht vor Entlarvung, die der Furcht eines Schwulen, sich vor seinen Eltern zu erklären,bestimmt sehr ähnlich war. Schließlich hatte meine Mutter meinen Körper aus dem ihren erschaffen. Welche Ablehnung der Elternschaft konnte extremer sein, als diesen Körper bewusst zu vergiften? Beim Coming-out verkündet man: So bin ich nun mal, das ist meine Identität. Das Eigenartige am «Raucher»-Etikett ist jedoch seine Unbeständigkeit. Ich könnte morgen beschließen, keiner mehr zu sein. Warum also nicht vorgeben, dass man schon heute keiner ist? Um ihr Leben in den Griff zu bekommen, legen sich Menschen über die Person, die sie gern sein wollen, Geschichten zurecht. Es ist das besondere Vorrecht des Rauchers – der die Entschlossenheit aufzuhören zuweilen so stark verspürt, dass ihm ist, als hätte er es längst getan –, sich mit unwiderlegbaren Indizien konfrontiert zu sehen, dass diese Geschichten nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen: hier die Kippen im Aschenbecher, da der Geruch in den Haaren.
Als Raucher habe ich also gelernt, nicht nur meinen Geschichten über mich zu misstrauen, sondern
allen
Auslassungen, die Anspruch darauf erheben, von unzweideutig moralischer Tragweite zu sein. Und gerade in den letzten Monaten sind die Amerikaner solchen Auslassungen in der Tagespresse ausgesetzt: Da werfen «Geheim»dokumente ein Licht auf die Machenschaften von Big Tobacco, formulieren Wissenschaftler Vorwürfe gegen ihre ehemaligen Arbeitgeber, bereiten neun U S-Staaten und ein Konsortium aus sechzig Anwaltskanzleien massive Schadenersatzklagen vor, plant die Lebens- und Arzneimittelzulassungsbehörde, die Produktion von Zigaretten, da sie Nikotinlieferanten sind, zu begrenzen. Die herrschende liberale Sichtweise, wonach Big Tobacco das schlechthin Böse ist, wird in der
Times
-Besprechung von Richard Klugers hervorragender neuer Geschichte der Tabakindustrie,
Ashes to Ashes
, resümiert. Der Rezensent Christopher Lehmann-Haupt schilt Kluger (ausgerechnet) wegen seiner «Objektivität» und «Unvoreingenommenheit» und behauptet, die Zigarettenbranche stehe moralisch mit der Sklaverei unddem Holocaust auf einer Stufe. Kluger hingegen, unvoreingenommen oder nicht,
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