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Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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am Telefon torpediert wurden: «Ja, komm immediately!» Ich hasste den üppigen Schimmel, der auf dem Badeschwamm in seiner Schale mit dem schwiemeligen Wasser spross. Dann war da noch der Schnauzer samt allem, was zu ihm gehörte. Ganz zu schweigen von Armins Abneigung, einen einzigen Handgriff zu tun, ohne sich vorher die Finger abgeleckt zu haben, und seinem rasselnden Atem, wenn er auf einer mechanischen Olivetti UP S-Lieferscheine tippte. Da waren Erikas strenger Körpergeruch und die kräftigen Parfüms, mit denen sie ihn vergeblich zu überdecken suchte. Und dann war da noch die kitschige, schrille Seite ihres Unternehmens, die saisonale Flut von Styroporglöckchen und sentimentalen Schneemännern und billigem Plastikspielzeug, die in mir ein allzu lebhaftes Bild vom ästhetischen Ödland der Krankenhausgeschenkläden im Mittleren Westen entstehen ließen.
    Meine Freunde in den Fastfood-Küchen beneidete ich aber vor allem darum, dass ihre Arbeit mir so wunderbar
unpersönlich
erschien. Nie mussten sie mit ansehen, wie der blau geäderte Bauch ihrer Arbeitgeberin aus deren Morgenmantel fiel, während aus einem umgekippten Glas zu ihren Füßen billiger Sekt den Teppich tränkte. An ihrem Arbeitsplatz moderten keine Hamburger-Fragmente und Petersilienkartoffeln in einer Hundeschüssel. Das Wichtigste aber war, dass ihre Mütter mit ihren Chefs kein Mitleid hatten.
    Wenn ich in den Jahren nach der Highschool vom College für ein paar Tage nach Hause kam, drängte mich meine Mutter immer, ich solle doch mal bei den Geyers vorbeischauen und mich mit ihnen «unterhalten» oder sie nach dem Gottesdienst begrüßen und für einen Augenblick ihre gesellschaftliche Isolation aufheben oder ihnen eine Ansichtskarte schicken, wenn ich nach Europa fuhr. Meine Mutter selbst lud die Geyers aus christlicher und masochistischer Nächstenliebe manchmal zum Essen mit anschließender Partie Bridge ein, während deren Erika in zunehmender Lautstärke und mit sich umkehrendem Englisch/​Deutsch-Verhältnis Armin wegen seiner Bietsünden und Kartenspielvergehen beschimpfte, woraufhin Armin hochrot anlief und sich lärmend verteidigte. Obwohl meine Mutter inbrünstig an persönliche Verantwortung glaubte, bediente sie sich der durchsichtigsten Tricks, wenn Erika anrief und ich gerade da war. Sie reichte mir das Telefon («Jonathan möchte Ihnen guten Tag sagen!»), und wenn ich daraufhin versuchte, ihr den Hörer zurückzugeben, ließ sie mich Erika ausrichten, sie werde sie «nächste Woche» zurückrufen. Die armen Geyers mit ihren Blutgerinnseln, ihren kaputten Knochen, ihren jähen Einweisungen ins Krankenhaus! Jeden Schritt ihres Verfalls berichtete mir meine Mutter getreulich in den Briefen, die sie an mich schrieb. Jetzt sind sie alle tot, und ich frage mich: Kann man dem Persönlichen denn gar nicht entrinnen? FünfundzwanzigJahre später bin ich noch immer auf der Suche nach einem Arbeitsverhältnis, das sich nicht irgendwie um Familie, Loyalität, Sex, Schuld oder alle vier auf einmal dreht. Allmählich glaube ich, ich finde es nie.
     
    (2001)

Aschelese
    Z igaretten sind das Letzte auf der Welt, worüber ich nachdenken möchte. Ich betrachte mich nicht als Raucher, identifiziere mich nicht mit den sechsundvierzig Millionen Amerikanern, die diese Sucht haben. Ich mag Zigarettengestank nicht und auch nicht den Eingriff in die nasale Privatsphäre, den er darstellt. Bars und Restaurants mit einem gestylten Ambiente – mit einer Klientel, deren Exklusivität sich teilweise den Giftwolken verdankt, hinter denen sie sich verbirgt – stoßen mich zunehmend ab. Ich werde in Hotelzimmern vergiftet, in denen die Nacht davor ein Raucher war, und auf öffentlichen Toiletten, wo Männer die eklige, nach Körper riechende Winston als Abführmittel benutzen. (
«Winston tastes bad/​Like the one I just had»
, lautete die grammatisch einwandfreie Parodie des Werbespruchs
Winston tastes good/​Like a cigarette should»
in meiner Kindheit.) An manchen Tagen hat es in New York den Anschein, als hätten zwei Drittel der Leute auf dem Gehsteig, umgeben vom Abgasdunst, eine Zigarette brennen; ständig laviere ich so, dass ich auf Luv bin. Mit dem Ziel, die Emissionen der Nachbarn unter mir einzudämmen, habe ich schon zur Dichtpistole gegriffen, um die Ritzen zwischen Dielen und Fußleisten in meiner Wohnung zu versiegeln. Das erste Spielkasino, das ich besuchte, in Nevada, erlaubte mir einen Vorausblick auf die Verdammnis: Reihe um

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