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Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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war, dass zwei der drei Nachfolger Weiße waren und dass Thomas Ranft, Greens weißer Vorgesetzter, das Stühlerücken ohne Nachteil überstanden hatte, die Versetzungen als rassistisch. Diese Kritik war insofern fadenscheinig, als Tausende engagierter schwarzer Postbediensteter in Chicago ihren Job weniger ihrer Kompetenz als ihrer Hautfarbe verdankten. Deutlich wurde allerdings, dass sich hinter der langen Weigerung der Post, eigene Fehler zuzugeben, die Furcht verbarg, den schwarzen Einfluss zu verlieren. Was sie zur «Verräterin» mache, sagt Gayle Campbell, sei weniger ihr öffentlicher Verrat an der Postfamilie als die Tatsache, dass sie, in den Worten eines Managers, «den Weißen Tür und Tor geöffnet» habe. Die Weißen, denen sie Tür und Tor geöffnet hatte, waren nicht nur William Good und David Fields, die Rogers und Green ersetzten, und weiße Politiker wie Simon, Smith und Yates, sondern auch das weiße Medienestablishment, von dem viele amerikanische Schwarze und nahezu alle Postbediensteten in Chicago denken, es sei voreingenommen gegen sie.
    In seinen ersten Monaten im Amt mied Rufus F.   Porter, der neue Postchef, Familienphrasen und zog Begriffe aus dem Unternehmensvokabular wie «Initiative», «Kommunikation» und «Unternehmergeist» vor. Der sechsundvierzigjährige Porter ist gebürtiger Kalifornier und hat als ehemaliger Postverteiler an derAbendschule einen Master-Abschluss gemacht. Als ich ihn im dritten Stock des Hauptpostamts besuche, begreife ich, warum Celestine Green, deren Dienstrang dem Jimmie Masons entsprach, das Bedürfnis nach einer neuen Ausstattung hatte. Das Büro des Chicagoer Postchefs ist eine weite Ebene flauschiger Auslegeware mit verstreuten Ansiedlungen schweren, geschnitzten Mobiliars. Porter, ein untersetzter Mann mit auffallend gerader Haltung, sitzt auf der Kante eines Stuhls, die Hände auf einem riesigen Sitzungstisch gefaltet. Er beantwortet meine Fragen in dem abgehackten, energischen Tonfall eines Kadetten im Drill. «Initiative kann man nicht lehren», sagt er. «Aber man kann eine Atmosphäre schaffen, eine Umgebung, in der die Menschen sich gestärkt fühlen. Und genau das versuchen wir. Wir versuchen, diese Atmosphäre zu schaffen.»
    Nach fast allem, was man hört, hat Porter Erfolg. Er hat sich von genau den unzulänglichen Managern getrennt, die Campbell in ihrem Bericht nannte, hat disziplinarische Suspendierungen wiedereingeführt und die Bereitschaft gezeigt, den Service in Chicago zu verbessern, koste es, was es wolle. Postangestellte, die von ihren Vorgesetzten frustriert sind, mögen Nadeln in Strohpuppen stecken, doch die Versetzung eines untätigen Verwaltungsangestellten verdankt sich wohl weniger der Macht des Voodoo als Porters Entschlossenheit als Reformer. Auch die kompromisslose Campbell hat sich überzeugen lassen. «Auf ihn hat Chicago gewartet», sagt sie. «Lange werden wir nicht mehr das Schlusslicht sein.»
     
    Einfach nicht mehr die Schlechtesten sein: Das ist ein Ziel, dessen Bescheidenheit den Optimismus, den Porters Anstrengungen verbreiten, dämpfen muss. Als ich Frank Brennan, einen Sprecher der Post, frage, warum man Städte wie Chicago so langevernachlässigt habe, spricht er von der historischen Verbundenheit seines Unternehmens mit dem «kleinstädtischen Amerika», in dem die Identität einer Gemeinde und deren Bindung an die Republik in ihrem kleinen Postamt Ausdruck fänden. Die Großstädte, so Brennan, seien Teil eines sich entwickelnden Amerikas, in dem sich die täglichen persönlichen Verbindungen, die den Auftrag der Post ausmachten, weit weniger gut herstellen ließen. So gesehen erweist sich die Vernachlässigung der Chicagoer Post als Teil eines größeren strukturellen Scheiterns des Bundes an den Städten. William Henderson, der neue Staatssekretär im Postministerium, sagt: «In den größeren amerikanischen Städten gibt es keinen Bereich, der einen nicht vor Probleme stellt, und die Post gehört dazu.» Henderson glaubt, dass eine sich in Verkehrsstaus und Wolkenkratzern niederschlagende hohe Bevölkerungsdichte den Transport der Post auf dem Landweg zwangsläufig behindere. «Das ist einfach so. Jeder ärgert sich über die Städte, auch wir.»
    Die städtischen Hemmnisse sind nicht nur logistischer Natur. Anfang der achtziger Jahre, als eine lange unterdrückte städtische Minderheit die Kontrolle über die Post erlangte, hatten viele ihrer Angehörigen verständlicherweise ein geringes Interesse

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