Anleitung zum Alleinsein
der Zivilisation beschreibt, ist tatsächlich nur eine Partitionierung, und die Ironie dieser Partitionierung besteht darin, dass diejenigen mit dem größten Zugriff auf Informationen auch diejenigen sind, die sich am wenigsten in den die Informationen übermittelnden Drähten verheddern.
Jeder mit einem Sinn für solche Ironien wird Gefallen an Nicholas Negropontes
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finden, einem Zukunftsland-Führer für jene, die glauben, dass die Technologie keine Probleme geschaffen hat, die eine bessere Technologie nicht lösen könnte. Negroponte ist Direktor des Media Lab am Massachusetts Institute of Technology, und
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ist eine Sammlung seiner monatlichen Kolumnen in der Zeitschrift
Wired
, der «Bibel» der Cyberwelt (wie sie schon genannt wurde) mit ihrem experimentierfreudigen Layout.
Wired
will das Insidertum der Insider feiern und gleichzeitig Neulingen die Tür aufhalten, und das gelingt ihr, indem sie Visionen wie auch Insiderinformationen verkauft. Negropontes Spezialität sind die Visionen. Er ist das Hausorakel.
Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft bitten Negroponte scharenweise um Rat, und folglich handelt
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viel von (wie sonst sollte man es nennen?) Ressourcenverteilung. Sollen die Entwickler von Virtual-Reality-Technik ihre begrenzte ED V-Kraft darauf verwenden, die Bildauflösung zu erhöhen, oder sollen sie darauf hinwirken, dass die Geschwindigkeit der technischen Abläufe den Kopf- und Halsbewegungen eines Benutzers besser entspricht? Macht sie schneller, sagt Negroponte. Soll die Wall Street in elektronische Hochleistungsleitungen investieren oder in eine Fernsehtechnologie, die die bestehenden Leitungen effizienter nutzt? Macht, was intelligenter und weniger aufwendig ist, sagt Negroponte.
Vielleicht weil der Titel
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die Artikulierung einer neuen Art des Menschseins zu verheißen scheint, dauerte es eine Weile, bis ich merkte, dass das Buch nicht von einem kulturellen Wandel handelt, sondern von Geld. Die erste Frage, die sich Negroponte bei einer Entwicklung wie der virtuellen Realität stellt, ist die, ob es einen Markt dafür gibt. Gibt es einen, dann ist es unvermeidlich, dass jemand ihn ausschöpft, daher ist es sinnlos zu fragen: «Brauchen wir das?», oder «Schadet uns dasvielleicht?» «Der Konsument» ist in Negropontes Buch etwas fröhlich Allgegenwärtiges, ein hochbegehrter Bestimmer.
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wimmelt von Bezügen auf eine Welt des begüterten Internationalismus – auf Luxushotels, in denen der Autor absteigt, auf seine Lunchs mit Premierministern, auf Transpazifikflüge, burgundische Weinhändler, Schweizer Internate, bayerische Kindermädchen. Die Leichtigkeit, mit der Jobs, Kapital und digitale Signale heute Staatsgrenzen überschreiten, wird gleichgesetzt mit der Mobilität der neuen Informationselite, jenen glücklichen Symbolanalytikern, die wie so manche Angehörige herrschender Kasten vor ihnen meinen, mehr mit den Auserwählten anderer Länder gemein zu haben als mit den Übergangenen des eigenen. Ist es einem erst mal aufgefallen, kommt es einer Offenbarung gleich, wie frei von Nationalismus
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ist, wie austauschbar die Schauplätze sind. In einer kleinen Randbemerkung beklagt sich Negroponte, dass die Leute ihm Vorträge über das Leben in der wirklichen Welt hielten – «als lebte ich», sagt er, «in einer unwirklichen». Er beklagt sich zu Recht. Seine Welt ist ebenso wirklich wie die Unterwelten, die Barry Sanders evoziert. Doch die beiden Welten werden füreinander zunehmend unwirklich.
Über den Wolken scheint immer die Sonne. Negroponte zeichnet ein Morgen mit sprechenden Toastern, intelligenten Kühlschränken und eigenwilligen Computern («Sie können sich doch für Ihr Zeitungsinterface eine Larry-King-Persönlichkeit kaufen»), das wegen der Beibehaltung heutiger Vorstadtwerte an die
Jetsons
denken lässt. Um Hinweise auf einen tiefergehenden Wandel zu finden, muss man zwischen den Zeilen lesen. Negroponte hat beispielsweise die Angewohnheit, die menschlichen Körperfunktionen auf Funktionen von Maschinen zu reduzieren: das menschliche Auge ist «Bezieher des Bildes», das Ohr ist ein «Kanal», Gesichter sind «Displays», und «Disneys fester Kundenstamm wird mit einer Geschwindigkeit, die 12 500 Geburtenpro Stunde übersteigt, erneuert». Künftig könnten «CD-ROMs essbar sein und Parallelprozessoren benutzt werden wie Sonnencreme». Der neue, digitale Mensch wird sich aber nicht
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