Anleitung zum Alleinsein
nur Speichereinheiten einverleiben, sondern auch Narzissmus. «Zeitungen werden in einer Auflage von einem Exemplar gedruckt … Nennen wir es
Das Tages-Ich
.» Derweil werden Autoren auf ihrem Weg vom Text zum Multimedia-Erzeugnis die Rolle des «Bühnenbildners oder Themenpark-Designers» übernehmen.
Wenn Barry Sanders junge Menschen vor sich hat, sieht er verlorene, regungslose Gesichter. Negroponte sieht eine «mathematisch kompetente und vornehmlich visuell gebildete» Generation, die in einem Cyberspace glücklich miteinander wetteifert, wo das «Streben nach intellektueller Leistung eher weniger zum Bücherwurm tendiert». Er redet einer Art therapeutischem Korporatismus das Wort, verteidigt Videospiele als förderlich für «strategisches Denken» und «Planungsgeschick» und erinnert sich, dass sein Sohn Schwierigkeiten hatte, Addieren und Subtrahieren zu lernen, bis der Lehrer vor die Zahlen Dollarzeichen setzte. Am ehesten zeigt sich Negropontes Einsicht, dass es gesellschaftliche Dysfunktion tatsächlich gibt, wenn er die Roboter beschreibt, die uns in naher Zukunft Getränke bringen und unsere leeren Bücherregale abstauben werden: «Aus Sicherheitsgründen muss ein Haushaltsroboter auch wie ein bissiger Hund bellen können.»
Es fällt leicht , Negropontes resoluten Ahistorismus zu kritisieren, schwerer hingegen, einen Autor nicht zu mögen, der sein Buch mit dem Bekenntnis «Als Dyslexiker lese ich nicht gern» beginnt. Negroponte ist nicht mehr und nicht weniger als ein Mann, der von seinen Spekulationen über die Zukunft profitiert hat und, wie ein erfolgreicher Börsenmakler, bereit ist, seine Geheimnissezu verraten. Abgesehen von einigen nebulösen Versicherungen («Die Digitaltechnik kann eine Naturgewalt sein, die die Menschen in eine größere Weltharmonie katapultiert»), tut er nicht so, als löse seine Revolution ernstere Probleme als die Beschwernis, die Videothek persönlich aufsuchen zu müssen, wenn man einen Film ausleihen will.
In einer Kultur der falschen Perspektiven, in der der Staranwalt Johnny Cochran bedeutender als Boris Jelzin scheinen kann, ist es schwer zu sagen, ob das Internet zu Recht so toll ist. Russell Baker hat den Hype um das Netz mit dem um die Atomenergie in den fünfziger Jahren verglichen, als Industriesprecher uns weismachen wollten, wir würden bald nur noch «Pennys» für unseren monatlichen Energieverbrauch bezahlen. Wer heute die Technologie propagiert, kann dem Normalverbraucher keinen so messbaren Nutzen wie billigen Strom anbieten. Die Verkaufsanreize sind vielmehr immateriell – übermittelt in der Sprache von Gesundheit und Hipsein.
Die Digitaltechnik, so das Argument, ist wirksame Medizin für eine kranke Gesellschaft. Das Fernsehen hat uns Regierungen beschert, die mittels Bildern regieren; die Interaktivität wird die Macht dem Volk zurückgeben. Das Fernsehen hat Millionen bildungsferner Kinder herangezüchtet; der Computer wird sie unterrichten. Von oben nach unten vorgegebene Fernsehprogramme haben uns isoliert; von unten nach oben drängende Netzwerke werden uns wieder zusammenführen. Als Dreingabe schmeckt die Medizin der totalen Digitalität auch noch gut. Sie ist ein popkulturelles Vergnügen, dem wir gern frönen dürfen. Tatsächlich ist heute mit das Beste, das im Fernsehen läuft, von IBM finanziert: Nonnen in einem italienischen Kloster unterhalten sich wispernd übers Internet, marokkanische Geschäftsleute schlürfen Pfefferminztee und reden über Schnittstellen. Das ist Werbung und phantastische postmoderne Kunst zugleich. Natürlich ist das simple Ziel solcher Kunst, es als unvermeidlicherscheinen zu lassen, dass wir unsere Dollars IBM in den Rachen werfen. Popularität aber ist zum Selbstzweck geworden.
Würde ich mir mein eigenes Killerargument gegen die digitale Revolution zurechtlegen, dann würde ich mit der Beobachtung anfangen, dass sowohl Newt Gingrich als auch Timothy Leary hin und weg von ihr sind. Irgendwie passt da etwas nicht zusammen. Douglas Rushkoff zitiert in
Media Virus!
– seiner buchlangen Erforschung der Medien-Gegenkultur – einen skeptischen New-Age-Denker, für den die Revolution folgende Sonnenseite hat: «Private Bereiche gibt es nicht mehr. Der Gedanke einer Sprachkultur ist im Grunde eine Vorstellung der Mittelschicht – der feine Herr in seinem büchergesäumten Studierzimmer als privatem Bereich zum Nachdenken. Das ist eine sehr elitäre Vorstellung.» Robert Coover, der in zwei Essays
Weitere Kostenlose Bücher