Anleitung zum Alleinsein
auch überwältigt; der Leser unterzieht sich der Arbeit, die darin besteht, sich dem kreativen Willen eines anderen zu unterwerfen.» Birkerts schreibt übers Lesen von Literatur wie M. F. K. Fisher übers Essen oder Norman Maclean übers Fliegenfischen. Er schafft es, dass man es sofort selber machen will.
Das Gegenstück zu seinem Idyll des büchergesäumten Studierzimmers ist jedoch wilde Panikmache. Im Niedergang des Romans sieht Birkerts mehr als einen Wandel unserer Unterhaltungsgewohnheiten.Er sieht eine Veränderung der menschlichen Natur an sich. Gewiss, sein Albtraum «ist nicht der grunzende und Keulen schwingende Neotroglodyt, sondern der effiziente und wohlhabende Informationsmanager, der in den Untiefen dessen lebt, was es heißt, Mensch zu sein, und um das Besondere daran nicht zu wissen». Er räumt ein, dass die Technologie unsere Sicht der Dinge globaler und toleranter, unseren Zugriff auf Informationen leichter, unsere Selbstdefinitionen weniger festgelegt sein ließ. Doch, wie er wiederholt betont, «je komplexer, verfeinerter und unorthodoxer unsere Zugriffssysteme, desto mehr opfern wir an Tiefe». Statt Augie March also Arnold Schwarzenegger. Statt der Schlachten bei Manassas ein historischer Themenpark. Statt ordnenden Erzählens eine Weltkarte, die so komplex ist wie die Welt selbst. Statt einer Seele die Zugehörigkeit zu einer Menge. Statt Weisheit Daten.
In einer Coda zu den
Gutenberg-Elegien
beschwört Birkerts aus den Seiten von
Wired
den Teufel persönlich, «glatt und selbstbewusst», einen «Hexer der binären Ordnung», der anbietet, den Kampf der irdischen Existenz durch einen «bunten, angenehmen Traum» zu ersetzen. Das Einzige, was er dafür haben will, ist die Seele der Menschheit. Birkert bekennt, auf den Teufel neidisch zu sein: «Ich frage mich wie damals an der Highschool, als ich es mit den Lässigen und Athletischen, den Mannschaftskapitänen und Klassensprechern zu tun hatte, ob ich nicht tief im Innern all das Zweifeln und Grübeln eintauschen und nur er sein möchte.» Doch sosehr er auch von der Erotik der Technologie des Teufels versucht ist, sagt eine Stimme in seinem Herzen: «Verweigere dich.»
Die Technologie als die Inkarnation des Teufels, die totale Digitalität als Verdammnis: Bedenkt man, dass Autoren wie Toni Morrison ein weit größeres Publikum haben als Jane Austen zu ihrer Zeit, scheint mir Birkerts’ Hyperbel doch von etwas anderem als nüchterner Analyse motiviert. Der Schlüssel liegt,glaube ich, in den Einblicken, die er auf sein eigenes Leben in den Untiefen dessen, was es bedeutet, Mensch zu sein, gewährt. Er erwähnt, dass er raucht und literweise Bier trinkt, spricht von seinen morbiden Vorahnungen einer Katastrophe, seiner Schlaflosigkeit, seinen Grübeleien. Als wichtigstes Publikum seines Buches nennt er seine vielen Freunde, die ihm die Schwärze unseres kulturellen Augenblicks nicht abnehmen wollen und in den elektronischen Entwicklungen eine höhere Stufe des geschriebenen Wortes sehen. «Manchmal frage ich mich, ob meine nachdenklichen Freunde und ich in derselben Welt leben … Natürlich neige ich eher zu der Ansicht, dass das Problem bei ihnen liegt.»
Diese Zeilen triefen vor Depression und dem Gefühl einer Entfremdung von der Menschheit, das von der Depression gefördert wird. Nichts verschärft diese Entfremdung mehr als das Monstrum Hipsein, wie es das Fernsehen kreiert hat und die Vermarkter der digitalen Revolution nun ausbeuten. Es ist kein Zufall, dass Birkerts die Apokalypse auf den oberhippen
Wired
-Seiten ortet. Er ist noch immer der Einzelgänger an der Highschool, ausgeschlossen von denen, die das Sagen haben, und daher den alternativen und «echteren» Befriedigungen des Lesens in die Arme getrieben. Aber was, so könnten wir ihn fragen, ist schlimm daran, ein effizienter und wohlhabender Informationsmanager zu sein? Haben Mannschaftskapitäne und Klassensprecher tatsächlich keine Seele?
Der Elitismus ist die Achillesferse einer jeden ernsthaften Verteidigung von Kunst, er zieht die Giftpfeile populistischer Phrasen auf sich. Der Elitismus der modernen Literatur ist zweifellos ein besonderer – eine Aristokratie der Entfremdung, eine Bruderschaft der Zweifler und Grübler. Gleichwohl ist Birkerts, nachdem er den Verdacht geäußert hat, die Nichtleser würden das Lesen «als eine Art Werturteil über sich, als elitären und ausschließenden Akt verstehen», so mutig, ihre ärgsten Befürchtungen zu
Weitere Kostenlose Bücher