Anleitung zum Alleinsein
für die
New York Times Book Review
eine ähnliche Auffassung an den Tag legt, verheißt, der Hypertext werde «die vorbestimmte Einbahnstraße» des konventionellen Romans durch Werke ersetzen, die auf jede beliebige Art und Weise gelesen werden könnten und mithin den Leser von der «Vorherrschaft des Autors» befreiten. Gleichzeitig preisen die New-Age-Autoren, die Newt Gingrich um sich versammelt hat, die politische Diskussion im Internet als ideales Gegenmittel gegen den lahmen Industriezeitalter-Liberalismus an. Wo die Wall Street Profite für Investoren winken sieht, sehen Visionäre jeder politischen Couleur eine Ermächtigung der Massen.
Dass Nachrichten von dieser besseren Zukunft nach wie vor gedruckt eintreffen – als «einsargende, distanzierende Vergewaltigung des Papiers», wie es ein Kolumnist in
Wired
formulierte –, mag schlicht ein Paradox der Veralterung sein, genauso wie die Notwendigkeit, mit dem Pferd zu dem Händler zu reiten, der einem das erste Auto verkauft. Negroponte aber nennt als Erklärung für seinen Entschluss, ein richtiges Buch zu veröffentlichen, einen verblüffenden Grund: «Interaktive Medien lassen derPhantasie kaum noch Spielraum. Im Gegensatz dazu», sagt er, «löst das geschriebene Wort Bilder aus und evoziert Metaphern, die ihre Bedeutung zum großen Teil aus der Phantasie und den Erfahrungen des Lesers erhalten. Wenn Sie einen Roman lesen, kommt viel von seiner Farbe, seinem Klang und seiner Bewegung aus einem selbst.»
Wäre es Negroponte mit dem Wohl des Gemeinwesens ernst, müsste er der Frage nachgehen, was dieses Argument über den Muskeltonus unserer Phantasie in einem vollständig digitalen Zeitalter aussagt. Aber bei ihm und den handfesten Firmeninteressen, die er vertritt, kann man sich darauf verlassen, dass er nicht sentimental wird. Die Wahrheit ist einfach, wenn auch unschön. Der Roman stirbt, weil der Konsument ihn nicht mehr will.
Natürlich ist der Roman keinesfalls tot – man frage nur Annie Proulx oder Cormac McCarthy. Der Roman als Hort kultureller Autorität aber taumelt am Abgrund, und in
Die Gutenberg-Elegien
, einer Essaysammlung mit dem Untertitel
Lesen im elektronischen Zeitalter,
bringt Sven Birkerts seine Verblüffung und Bestürzung darüber zum Ausdruck, dass dieser Niedergang nicht auf breiterer Ebene beklagt worden sei. Nicht einmal professionelle Literaturkritiker, die unter den Verteidigern des Romans doch in vorderster Linie stehen müssten, hätten Alarm geschlagen, und Birkerts, der selbst Kritiker ist, klingt wie ein loyaler Soldat, den sein Regiment im Stich gelassen hat. Der Ton seiner Elegien ist unerschrocken, aber traurig.
Birkerts eröffnet seine Verteidigung des Romans, indem er erzählt, wie er, in einer Einwandererfamilie aufgewachsen, durch die Lektüre Jack Kerouacs, J. D. Salingers und Hermann Hesses zu einem Begriff von sich selbst gefunden hat. Die Autoren genauso wie die entfremdeten, romantischen Helden ihrer Bücherwurden ihm zu Vorbildern, denen er nacheifern und mit denen er sich vergleichen konnte. Später, an dem trostlosen emotionalen Strand, an dem die Welle des Sechziger-Jahre-Idealismus offenbar viele ausgesetzt hat, trotzte er jahrelangen Depressionen, indem er las, in Buchhandlungen arbeitete und schließlich Literaturkritiker wurde. «Im Grunde», sagt er, «haben Bücher mich gerettet.»
Bücher als Katalysatoren der Selbstfindung und Bücher als Zufluchtsort: diese Vorstellungen werden zusammengespannt, weil Birkerts glaubt, dass «Innerlichkeit, die nachdenklichere Komponente des Ich», eines «Raums» bedarf, in dem der Mensch über die Bedeutung der Dinge nachdenken kann. Verglichen mit dem Zustand eines Menschen, der einen Film sieht oder sich durch einen Hypertext klickt, sagt er, kommt der Zustand von einem, der sich in einen Roman versenkt, dem der Meditation besonders nah, und am besten ist Birkerts, wenn er den Feinheiten dieses Zustands nachspürt. Hier seine Beschreibung der Eindrücke zu Beginn einer Romanlektüre: «Ich spüre einen Sog. Die Kette hat sich aufs Zahnrad gelegt; es folgt das Gefühl des Ineinandergreifens, dann das Vorwärtsgleiten.» Und nun seine prägnante Entgegnung auf die Verheißung, der Hypertext werde vom Autor befreien: «Diese ‹Vorherrschaft des Autors› war und ist doch, jedenfalls bis jetzt, der
Sinn
des Lesens und Schreibens. Der Autor meistert die Mittel der Sprache, um eine Vision zu kreieren, die den Leser packt und in gewisser Weise
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