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Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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wäre nur logisch,wenn die U S-Staaten nicht die Zigarettenhersteller, sondern die Raucher verklagen. Und vielleicht sollten die Raucher wiederum die Sozialversicherung und private Rentenfonds auf das Geld verklagen, das diese durch ihren frühen Tod einsparen. Die besten Schätzungen der bundesweiten «Kosten» des Rauchens in Dollar, einschließlich der Einsparungen durch vorzeitigen Tod und Einkünfte durch Verbrauchssteuern, ergeben negative Zahlen. Würde die Gesundheit des Landes nach finanzpolitischen Kriterien gemessen, dann müsste, witzelt ein von Kluger zitierter Volkswirtschaftler, «Zigarettenrauchen eher subventioniert statt besteuert werden».
    Letztlich erscheint der Glaube, die ein Jahrhundert währende Liebesaffäre des Landes mit der Zigarette könne auf vernünftige und freundschaftliche Weise beendet werden, ebenso kühn wie der, dass es eine schmerzfreie Methode gebe, vom Nikotin loszukommen. Als ich das erste Mal aufhörte, blieb ich beinahe drei Jahre standhaft. Ich stellte fest, dass ich ohne die Ablenkung und die ganzen Unannehmlichkeiten von Zigaretten
produktiver
arbeitete, und schließlich war ich auch froh darüber, endlich der Nichtraucher zu sein, für den mich meine Familie immer gehalten hatte. Dann aber, in einer Zeit großen persönlichen Verlusts, ärgerte es mich, dass ich weniger um meinet- als um anderer Leute willen aufgehört hatte zu rauchen. Ich war viel mit Rauchern zusammen, und schon verfiel ich der Gewohnheit wieder. Auch wenn ich den Anblick nicht mehr sexy finde,
fühlt
sich Rauchen noch so an. Das Vergnügen, die Droge bei sich zu haben, sich ihren Imperativen zu ergeben und hinter einem Rauchschleier zu entspannen, ist durch und durch lasterhaft. Wäre ein langes Leben das höchste Gut, das ich mir denken könnte, dann könnte ich mir auf der Stelle die nötige Angst einreden, um mit dem Rauchen aufzuhören. Doch für den Fatalisten, dem die Gegenwart mehr bedeutet als die Zukunft, ist die greinende Stimme des Gewissens – derGesellschaft, der Familie – auch nur ein Faktor des seelischen Gleichgewichts, das einen weiterrauchen lässt.
    «Vielleicht», schreibt Richard Klein in
Schöner blauer Dunst
, «hört man erst dann auf zu rauchen, wenn man anfängt, Zigaretten zu lieben, weil man auf einmal so bezaubert ist von ihren Reizen und ihre Wohltaten einen mit so viel Dank erfüllen, dass man endlich begreift, wie viel verlorengeht, wenn man es aufgibt, ja wie dringend man Ersatz für manche der Verlockungen und Kräfte suchen muss, die in der Zigarette so wunderbar vereint sind.» Mit nicht kontaminierter Lunge und einem Herzen zu leben, das nicht mehr rast, ist eine Freude, die ich hoffentlich einmal der Freude an einer Zigarette vorziehe. Für mich selbst bin ich also vorsichtig optimistisch. Für das Gemeinwesen hingegen, rhetorisch hin und her gerissen zwischen schriller Verurteilung und neandertalerhafter Leugnung und wie ein Suchtkranker an das Tabakgeldergift in seinem Rechtssystem, seiner Gesetzgebung, seinen Finanzmärkten und seiner Außenhandelsbilanz gewöhnt, bin ich es erheblich weniger.
    Vor einigen Wochen, es war in Tribeca, sah ich in einem Magritte’schen Dämmerlicht eine Frau an einem erleuchteten Fenster hoch oben in einem Wohnhausloft. Sie stand auf einem Stuhl und zog die obere Fensterhälfte herunter. Sie warf die Haare zurück und machte etwas Kompliziertes mit den Armen, was sich als das Anzünden einer Zigarette erwies. Dann stützte sie Ellbogen und Kinn auf den Fensterrahmen und blies den Rauch in die schwüle Luft. Ich verliebte mich auf den ersten Blick, weil sie so dastand, drinnen und draußen zugleich, Widersprüchlichkeit inhalierte und Ambivalenz ausstieß.
     
    (1996)

Der Leser im Exil
    V or ein paar Monaten habe ich meinen Fernseher weggegeben. Es war ein klobiger alter Sony Trinitron, das Geschenk eines Freundes, dessen Freundin das penetrante Pfeifen, das von der Bildröhre ausging, nicht ertrug. Sein Holzimitatfurnier erinnerte an eine Zeit, als Fernseher, wie kläglich auch immer, noch als Möbel durchzugehen versuchten – eine Zeit, als sich die Designer einen Fernseher noch im Zustand des Nichtangeschaltetseins vorstellen konnten. Er stand bei mir an unzugänglichen Orten wie im Schrankzimmer auf dem Fußboden, und ich bekam nur dann ein gutes Bild, wenn ich genau davor im Schneidersitz saß und die Antenne anfasste. Es fiele schwer, den Vorgang des Fernsehens freudloser zu gestalten, als ich es tat. Dennoch fand

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