Anleitung zum Alleinsein
ich, der Trinitron müsse weg, denn solange er im Haus war, erreichbar durch eine Kette von Verlängerungskabeln, las ich keine Bücher.
Ich wurde 1959 geboren, kurz bevor sich eine große Kluft zwischen den Generationen auftat, und für mich ist völlig offen, was mehr Angst macht: ein Leben ohne elektronischen Zugang zur Kultur meines Landes oder der Versuch, ohne die Selbstdefinition, die ich aus dem regelmäßigen Eintauchen in Literatur beziehe, in dieser Kultur zu bestehen. Ich sehe mein Leben nicht im Kontext von David Letterman oder Jerry Seinfeld, sondern von Raskolnikow und Quentin Compson. Doch das Leben, wie ich es durchs Bücherlesen sehe, erscheint mir zunehmend einsam. Mit der Medienlandschaft, die die Gegenwart so vieler anderer ausmacht, hat es wenig zu tun.
Für jeden Leser, der heute stirbt, wird ein Zuschauer geboren, und es sieht so aus, als würden wir jetzt, Mitte der unruhigen Neunziger, erleben, wie ein Gleichgewicht endgültig kippt. FürKritiker, die zu Panikmache neigen, hat der Wandel von einer Kultur, die auf dem gedruckten Wort basiert, zu einer, die auf virtuellen Bildern gründet – ein Wandel, der mit dem Fernsehen begann und mit dem Computer gerade abgeschlossen wird – etwas Apokalyptisches. In einer ganz ähnlichen Weise, wie das Silicon Valley von der «Killeranwendung» träumt, die den PC für jeden Amerikaner unverzichtbar werden lässt, sind die Panikmacher auf der Suche nach dem Killerargument, das die drohende Apokalypse von selbst erklärt.
Ein jüngster Versuch eines solchen Argumentierens ist das Buch
Der Verlust der Sprachkultur
des Literaturwissenschaftlers Barry Sanders, das von zwei bedrückenden Trends ausgeht: der zunehmenden Gewalt unter Jugendlichen und den abnehmenden sprachlichen Fähigkeiten in den Aufnahmetests fürs College. Als Begründung für die gut belegte Tatsache, dass Kinder nicht mehr wie früher lesen und schreiben, lehnt Sanders es erfrischenderweise ab zu sagen, dass Barney, der große Dino, den guten alten Kinderreim auf dem Gewissen hat. In seiner Kosmologie spielt das Fernsehen durchaus den Schurken, doch es tut sein böses Werk weniger, indem es das Lesen verdrängt, als vielmehr dadurch, dass es sich zwischen die verbale Interaktion mit Eltern und Freunden schiebt. Egal, wie hochwertig die Programmgestaltung ist, ein Übermaß an passiver Rezeption hemmt die Sprachentwicklung des Kindes und legt den Grundstein dafür, dass es später von den scheinbar willkürlichen Regeln der Hochsprache frustriert ist. Computer und Videogeräte im Klassenzimmer verstärken die Entfremdung von der gesprochenen Sprache nur noch mehr. Aus Frustration wird Ablehnung: Kinder gehen von der Schule ab und schließen sich im schlimmsten Fall gewalttätigen Gangs aus, wie Sanders sie nennt, «Postanalphabeten» an. Seiner These nach kann es ohne eine im Mündlichen verwurzelte Lese- und Schreibfähigkeit weder ein Ich, wie wir es verstehen, noch ein Ich-Bewusstseingeben. Die Vergangenheit zu begreifen, in der Gegenwart Wahlmöglichkeiten zu erkennen, eine Zukunft zu entwerfen, Schuld oder Reue zu erfahren – das alles sind, Sanders zufolge, Leistungen, die den seelenlosen jungen Gangstern von heute und der durchcomputerisierten, weder sprech- noch schreibfähigen Gesellschaft von morgen versagt bleiben.
Das Problem mit Sanders’ Argumentation als einer Killerargumentation ist, dass er zu viele Übeltäter benennen muss. Die nationale Krise der Lese- und Schreibfähigkeit schiebt er auf den Rückgang der Zeit, die Eltern ihren Kindern widmen, sowie auf den Bilderinput, der das Vakuum gefüllt hat. Junge Gangster, merkt er an, sind nicht nur süchtig nach Bildern, sondern kommen auch aus einem verarmten, labilen Elternhaus. Sehen wir also einer Techno-Apokalypse entgegen, oder ist es bloß eine schlichte, altbekannte gesellschaftliche Dysfunktion? Jede Mutter in meinem Bekanntenkreis begrenzt den Fernsehkonsum ihrer Kinder und sät Widerstand dagegen, indem sie zum Lesen anhält. So wie die Leser dieses Essays gehören meine Freunde und ich der Schicht gebildeter «Symbolanalytiker» an, der nach Meinung des Arbeitsministers Robert Reich einmal die Welt gehören wird. Sanders’ Verallgemeinerungen über «die jungen Leute von heute» gelten nur für das Segment der Bevölkerung (zugegebenermaßen ein großes), dem das Geld oder die Muße fehlt, seine Kinder gegen die schlimmsten Verheerungen der elektronischen Medien zu impfen. Was er als die Selbst-Opferung
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