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Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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Er hatte eine Raspelstimme, und man wusste, dass er bis zu den Ellbogen in Maschinenöl steckte. Mr.   Palumbo liebte preiswerte Reparaturen, und weil er sie liebte, liebte ich ihn. Einmal, an einem jener indigofarbenen Spätnachmittage, die sich vorzeitig über Boston senken, rief er an, um mir zu sagen, die Hauptwelle der Smith-Corona sei gebrochen und dass der Motor wohl ausgetauscht werden müsse, was fünfzig Dollar koste. Es war offensichtlich, dass er mir das nur sehr ungern sagte. Ein, zwei Stunden später, lange nach Einbruch der Dunkelheit, rief er wieder an. «Ich hab’s repariert!», schrie er. «Ich hab’s
geklebt
! Ich hab die Welle mit
Epoxidkleber
an den Motor geklebt!» Wenn ich mich recht erinnere, berechnete er uns für diese Reparatur achtzehn Dollar.
    Meinen ersten Computer kaufte ich 1989.   Es war eine lärmende Metallkiste von Amdek. Nach guter Koabhängigkeitsmanier mochte ich das lärmende Summen des Amdek-Ventilators schon bald. Ich redete mir ein, es gefalle mir, wie er den Lärm von der Straße und aus anderen Wohnungen abhielt. Aber nach ungefähr zwei Jahren starken Gebrauchs entwickelte der Amdek ein neues Reibungsquietschen, dessen Kommen und Gehen offenbar mit dem Steigen und Sinken der relativen Luftfeuchtigkeit zusammenhing. Meine erste Lösung war, an trüben Tagen Ohrstöpsel zu tragen. Nach einem halben Jahr mit Ohrstöpseln nahm ich, da das Quietschen immer hartnäckiger wurde, das Blechgehäuse des Computers ab. Da hörte das Quietschen einfach auf, und mehrereTage lang schrieb ich Literatur auf einem Gerät oben ohne, mit entblößtem Motherboard. Als das Quietschen wiederkam, fand ich heraus, dass ich es verstummen lassen konnte, wenn ich auf die Leiterplatte, die die Festplatte steuerte, Druck ausübte. Es gab dort einen Spalt, in den sich ein Bleistift klemmen ließ, und wenn ich den Bleistift mit Hilfe eines Gummibands spannte, blieb der korrigierende Druck bestehen. Kaum aber setzte ich das Gehäuse des Computers wieder drauf, passte es nicht mehr richtig; ich entfernte von einer Schraube das Gewinde und musste eine Ecke des Gehäuses sozusagen lose lassen.
    Bis zu einem gewissen Grad lernt natürlich jeder, der nicht unbedingt reich ist, mit kränkelnden Geräten umzugehen. Manche machen davon einfach nur mehr Aufhebens. Meine Erinnerungen daran, dass ich Prosa auf halb kaputten Geräten schrieb, bedeuten mir jedoch nicht nur deshalb so viel, weil sie Bestätigung meiner Wesensart sind. Mein klappriger, dennoch funktionsfähiger Amdek ist für mich auch ein Symbol für die beständige
Abgerissenheit
Amerikas. Dass Dinge veralten, ist die wichtigste Folge unserer nationalen Technikbegeisterung, und heute glaube ich, dass Veralterung kein Übel ist, sondern etwas Schönes: keine Verdammnis, sondern Erlösung. Je ungestümer der Fortschritt der technologischen Entwicklung, desto größer das Volumen des veralteten Mülls. Und dieser Müll umfasst ja nicht bloß Materielles. Er umfasst zornige Religiosität, wiederauflebende Ideologien der Gegenkultur, die neuen Arbeitslosen, die auf immer Arbeitslosen. Das alles ist für den Schriftsteller die Garantie, dass er niemals allein sein wird. Veralterung ist unser Erbe.
    Weil schöpferisches Schreiben grundlegend Sache von Amateuren ist. Der einzelne Mensch durchwühlt die Mülltonne, nicht das Spezialistenteam, das Unterhaltung produziert, und wir Amerikaner haben das große Glück, in der herrlichsten Schrottwelt zu leben. Einmal, als ich in München wohnte, ließ ich voneiner Baustelle am Gehsteig zwei Pflastersteine mitgehen. Ich wollte sie in Zeitungspapier einschlagen und Buchstützen daraus machen. Es war Samstagnachmittag, die Straßen waren leer, und dennoch erschien mir mein Diebstahl als ein so schrecklicher, schrecklicher Verstoß, dass ich mehrere Blocks weit rannte, in jeder Hand einen Stein, bis ich meinte, in Sicherheit zu sein. Und noch immer spürte ich das strenge Auge des Gesetzes auf mir. In New York dagegen, wo ich jetzt wohne, laden mich die Müllcontainer nachgerade dazu ein, sie von ihren nützlichen Backsteinen und Latten zu befreien. Obdachlose erzählen mir um Mitternacht, unter Straßenlampen, vor Schutthaufen am Gehsteig ihre Geschichten. In den frühen Morgenstunden breiten sie an der Lexington Ecke 86 th Street auf verdreckten Steppdecken ihre Funde aus und tauschen zweifelhafte Radiowecker gegen abgeschlagene Türknöpfe aus Glas. Gebrauch und Wegwerfen sind der Aquifer, durch den die

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