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Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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des ADX verstoßen gegen die Genfer Konvention.) Im ADX sind gegenwärtig 250   Häftlinge untergebracht – etwas über die Hälfte seiner Kapazität   –, die dreiundzwanzig Stunden am Tag in ihren Zellen eingesperrt und nahezu jedes menschlichen Kontakts beraubt sind. Sofern nicht die Todesstrafe zur Routine wird, ist es unwahrscheinlich, dass innere Logik und Technologie amerikanischer Strafanstalten die Kontrollsysteme des ADX jemals übertreffen werden.
    Dem Informationsmaterial der U S-Vollzugsbehörde zufolge ist es die Aufgabe des ADX, «auf das Verhalten der Häftlinge so einzuwirken, dass Häftlinge, die kein gefährliches Verhalten zeigen und an den erforderlichen Programmen teilnehmen, in eine andere, offenere Einrichtung der Vollzugsbehörde gelangen.» Die meisten Häftlinge im ADX sind wegen schlechter Führung aus weniger sicheren Gefängnissen herverlegt worden. Achtzehn Prozent haben einen Mithäftling ermordet, sechzehn Prozent haben einen Mithäftling mit einer Waffe angegriffen, fünfzehn Prozent sind geflohen oder haben einen Fluchtversuch unternommen, und zehn Prozent haben Angehörige des Wachpersonals mit einer Waffe angegriffen. Eine Handvoll Häftlinge werden vomFBI wegen ihrer subversiven politischen Ansichten als Terroristen eingestuft. Ich habe um ein Interview mit zwei politischen Häftlingen gebeten: Mutulu Shakur und Ray Luc Levasseur.
    Das FCC Florence hat vier Einrichtungen. Vom Pförtnerhaus windet sich die Straße bergauf, vorbei an einem zaunlosen Gefängnis mit niedriger Sicherheitsstufe («Club Fed»), der einladenden «Federal Correctional Institution» mit mittlerer Sicherheitsstufe, dem strengen Hochsicherheitstrakt und dem dreieckigen Backsteinbunker, dem ADX. Aus einer ariden Hochprärie ist, nach dem korrigierenden Eingriff des Bundes, ein mit Sprinklern bewässerter, landschaftlich gestalteter Campus geworden. Als ich in Colorado Springs lebte, kam ich auf der Fahrt zu den Wanderwegen im Sangre-de-Cristo-Gebirge häufig an der Baustelle dieses Komplexes vorbei. Die Architektur ist von Streifen bestimmt und kantig, mit viel Krickentenblau und Lachsrosa. Bis der Natodraht gezogen wurde, dachte ich, ein Immobiliencowboy baue sich da einen eigenartig abgelegenen Büropark mit Energiesparfenstern.
    Am Empfangsschalter trägt eine blonde Frau namens Donna meinen Namen ein, stellt mich vor eine rote Backsteinwand und knipst mich dreimal mit einer Polaroidkamera. Währenddessen kommuniziert sie mit jemandem tief im Innern des ADX, sagt, man solle «Shakur raufbringen». Laut- und Feldstärke des Sprechfunks im ADX sind so eingestellt, dass die Stimmen gleich von Anfang an normale Gesprächslautstärke haben, sie sind knisterfrei und unverzerrt; fast ist es, als wäre der Sprecher körperlich anwesend. Donna erhält Bescheid, dass Shakur geholt wird. Sie stempelt meinen Unterarm mit unsichtbarer Tinte und hält ihn unter Schwarzlicht. Das Wort TEMPEL leuchtet auf.
    «Das soll STEMPEL heißen», sagt Donna und stempelt mich erneut. Wieder prüfen wir es unter dem Schwarzlicht, und auch das zweite Wort ist TEMPEL. Sie stempelt mich ein drittes Mal und verpfuscht es nun ganz. Mr.   Winn lässt ein ungeduldigesBrummeln hören, und schon bin ich dankbar, dass sich außer mir noch jemand anders seine Enttäuschung zugezogen hat.
    Auch wenn das ADX das erste Bundesgefängnis ist, das speziell für eine Isolation der Häftlinge rund um die Uhr konzipiert wurde, ist die Institution der Einzelhaft beinahe so alt wie die Republik selbst. Im Jahr 1823 eröffnete der Staat Pennsylvania in Philadelphia das Eastern State Penitentiary, und was als «Pennsylvania-System» bekannt wurde, übernahmen Gefängnisbauherren auf der ganzen Welt. Die Quäker, die das Eastern State konzipiert hatten, glaubten, Gefängnisse, in denen die Häftlinge in Gemeinschaftszellen untergebracht seien, leisteten der Lasterhaftigkeit Vorschub, daher hatte im Eastern State jeder Häftling seine Zelle und seinen Bereich im Hof und verließ beides nie. Musste er verlegt werden, zog man ihm eine schwarze Haube über den Kopf, um den Einfluss frei schwebender Lasterhaftigkeit zu unterbinden. Dass Häftlinge in permanenter Einzelhaft sich häufig erhängten oder zu Tode randalierten, wurde einer durch Masturbation verursachten Geisteskrankheit zugeschrieben.
    Als der Platz in amerikanischen Gefängnissen im Lauf der Jahrzehnte immer kostbarer wurde und sich ein kriminalpädagogisches Denken entwickelte, rückte man von

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