Anleitung zum Alleinsein
ein Fetzchen blauen Himmel sehen lässt), einen Blick in eine der juristischen Bibliotheken und in die Freizeitbücherei zu werfen (nur Taschenbücher für den Massenmarkt, jede Menge Louis L’Amour und Robert Heinlein), und eine kurze, gar nicht mal unangenehme Unterhaltung zu führen. Ich frage Mr. Winn, wie das ADX es geschafft hat, dass sich CBS, ABC, NBC, CNN, NPR, die BBC, das französische Fernsehen, Yorkshire TV, der
Spiegel
, die
New York Times
, die Londoner
Times
und
Details
darauf aufmerksam geworden sind. Er antwortet, das liege zum Teil an der Hightech-Ausstattung, vor allem aber am «Mythos vonAlcatraz» – der romantischen Aura, die ein Gefängnis, in dem die Schlimmsten der Schlimmsten sitzen, zwangsläufig umgibt.
Noch immer in der Hoffnung, ihn für mich einzunehmen, wage ich es, die Ansicht zu äußern, die Romantisierung von Gefängnissen sei doch geschmacklos. Er nickt. «Arbeiten Sie in einem nur mal einen Tag», sagt er. «Nett ist es da nicht.»
Sein nüchterner Ton berührt mich, aber nur kurz. Die bürgerkriegsähnlichen politischen Auseinandersetzungen, die Amerika in den sechziger und siebziger Jahren erschüttert haben und unlängst wieder aufgeflammt sind – mit dem Prozess gegen den Unabomber, in Oklahoma City, im Philadelphia des Mumia Abu-Jamal –, toben am stärksten in den Gefängnissen mit ihren eineinhalb Millionen Insassen, von denen fast alle arm sind. Dass die überwiegende Mehrheit dieser Insassen unpolitisch ist, macht den Kriegszustand nicht weniger real. Selten wird ein Krieg um Prinzipien ausgefochten; Schließer und Eingeschlossene sind schlicht und einfach Todfeinde. Und die Wurzeln reichen tief. Mr. Winn wuchs in Armeestützpunkten auf, Shakur dagegen in Jamaica, einem Viertel im New Yorker Stadtteil Queens, und Levasseur in einer darbenden Mühlenstadt in Maine. Ihr Krieg ist vor der Öffentlichkeit durch Krickentenblau und Lachsrosa verborgen, durch Phrasen wie «die Schlimmsten der Schlimmsten». Diejenigen, die ihn verlieren, sind überwiegend Soziopathen. Die ihn gewinnen, tragen adrette Anzüge und reden von Bekümmertheit.
Ich möchte gern glauben, dass ich nicht in diesen Krieg verwickelt bin.
Für das Fremont County , Colorado, bedeuten Gefängnisse nur eines, wirklich nur eines: Dollars. Die Bezirkshauptstadt, Cañon City, könnte die erste Gemeinde Amerikas gewesen sein, die das Einkerkern von Menschen als Wachstumsindustrie erkannte.1868, nachdem sie Denver bei seiner erfolgreichen Bewerbung unterstützte, Hauptstadt des Staates Colorado zu werden, durfte sie sich die Belohnung aussuchen: das staatliche Gefängnis oder die staatliche Universität. Sie wählte das Gefängnis.
Über ein Jahrhundert später haben die Stadt und ihre Umgebung die staatlichen Haftanstalten fest im Griff. Neun der achtzehn Gefängnisse von Colorado sind weniger als acht Kilometer vom Wal-Mart Cañon Citys entfernt. Das Colorado Territorial Prison Museum, untergebracht in einem stillgelegten Zellenblock am westlichen Stadtrand, ist ein Magnet für die ortsansässige High Society. Auf dem Rasen vor dem Museum finden sich Picknicktische, eine rostige achteckige Gaskammer und zwei Zellen, in denen sonnengebräunte britische Touristen verzweifelte Häftlinge mimen. Prominente Städter spenden für die Museumsstiftung in Höhe eines Gefängnisdirektorengehalts (fünf- bis zehntausend Dollar), kleinere Lichter begnügen sich womöglich eher mit Spenden in Höhe eines Wärterlohns (hundert bis fünfhundert Dollar). Um weiteres Geld zu beschaffen, wird alljährlich ein Golfturnier und gelegentlich ein Big House Bash veranstaltet – eine Art Kostümball, bei dem die eintreffenden Wohltäter bis noch vor wenigen Jahren ihre Einladungen in ein maßstabsgetreues Plastikmodell der Gaskammer warfen.
Ein paar Meilen östlich von Cañon City, am Ufer des Arkansas River, liegt das Kaff Florence. Hier wird in Bürger- und Veteranenvereinen wie Elks, Eagles und Legionnaires an drei Abenden der Woche Bingo gespielt. An der Ecke der Straße, die zum FCC führt, steht ein neues Hardee’s, ein Burger-Restaurant, auf das die ganze Stadt stolz ist. An der Main Street aufgereiht sind eine Bank, ein Drugstore, ein Lebensmittelladen mit einer offenbar auf Dauer installierten Plakatwand, auf der das FCC willkommen geheißen wird, sowie eine Fülle von Leerständen mit «Zu verkaufen»-Schildern. Hier löste die Bürgermeisterin von Florence, Merle Strickland, eine
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