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Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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Verkaufsrecht für die Abtei gehabt und einen kaufbereiten, zahlungskräftigen und kompetenten Käufer dafür gefunden hatte. Er schrieb dem Apostolischen Gesandten in Rom und machte ein Pfandrecht auf die Abtei geltend. Doch im Justizministerium wollte ihm niemand bestätigen, dass die Vollzugsbehörde eine Kaufabsicht gehabt habe.
    «Jeder ist auf der Suche nach seinen zwanzig Minuten Ruhm», sagt mir Jimmy Lloyd auf der Rückfahrt nach Florence. «Wie die meisten ist auch Tom Schryver leer ausgegangen.»
     
    Meinen zweiten Versuch, mir vom FCC Florence ein Bild zu machen, unternehme ich in der Federal Correctional Institution, einer Anstalt der mittleren Sicherheitsstufe. Wie das ADX ist auch die FCI ein Vorzeigeobjekt. Zu ihren auffallend humanen Einrichtungen gehören eine Schwitzhütte, in der amerikanische Ureinwohner ihre Riten praktizieren können, sechs wettkampftaugliche Billardtische, ein Malstudio und eine Bücherei, unter deren Beständen sich eine gebundene Ausgabe von Thomas Pynchons Roman
Die Enden der Parabel
und Walter Kaufmans Hegel-Studie befinden. Pfade ziehen sich kreuz und quer über einen großen Campus, dessen üppiges Gras von Häftlingen in Khaki gemäht wird. Fast die Hälfte der Häftlinge der FCI sitzen wegen Drogendelikten ein.
    Meine Führerin, die Case-Management-Koordinatorin Denise Snider, macht mit mir einen erschöpfenden Rundgang durch die UNICO R-Möbelfabrik . UNICOR ist ein halbautonomes Bundesunternehmen, ähnlich wie die Post. Es betreibt die Fabriken der Vollzugsbehörde und verkauft ausschließlich an Käufer des Bundes. Die Produkte des FCI Florence sind bequeme Sessel und Sofas ohne Pfiff. Die hier arbeitenden Häftlinge verdienen zwischen vierzig Cent und einem Dollar fünfundzwanzig die Stunde. Ich sehe Schaumstofftürme, Druckluftbohrer und -hefter , die an gelben Spiralen hängen, einen faszinierenden Kleberaum und eine Menge Männer in Khaki.
    Die UNICOR bildet für Werkstattberufe aus – eines der erklärten Ziele des Programms ist es, Häftlingen «marktfähige Fertigkeiten» beizubringen   –, aber um einen Schreibtischjob in dem hübschen, modern eingerichteten Geschäftsbüro der UNICOR zu ergattern, muss man Berufserfahrung in der Außenwelt vorweisen können. An jedem Schreibtisch, wo man heutzutage eine junge Frau mit Armspangen, Schulterpolstern und toupiertem Pony erwarten würde, tippt emsig ein Langhaariger mit Vollbart in Khaki. Das wirkt parodistisch oder surreal.
    Fast während der ganzen Dauer meines Besuchs in der FCI bleibt Case-Management-Koordinatorin Snider von meinen Bemühungen, meinen Charme spielen zu lassen und mich bei ihr einzuschmeicheln, völlig unbeeindruckt. Ihre Kleidung und ihre Frisur sind ausgesprochen sachlich gehalten, und offenkundig zählt sie die Minuten, bis sie mich endlich wieder los ist. Doch beim Abschied öffnet sich ihr Professionalismus einen kleinen Spalt.
    «Ich habe am College Psychologie studiert», sagt sie als Erklärung dafür, dass sie zwei Abschlüsse in Strafrecht erworben hat. «Eine Professorin meinte, ich sei wie geschaffen für Kriminologie. Es passt zu mir. Ich finde gern Sachen über andere heraus, ohne dass sie es mitbekommen.»
    Ich frage sie, wie viele Vollzugsbedienstete in Florence oder den umliegenden Städten leben. Ich erinnere mich, dass Mr.   Winn nicht in der Gegend lebt.
    «Wir werden angehalten, in der näheren Umgebung zu leben», sagt Snider. «Aber der nächste Ort, an dem ich einen Krippenplatz finden konnte, war Pueblo. Die schwarzen Verwaltungsangestellten würden vielleicht gern in der näheren Umgebung leben, aber sie fühlen sich in Florence oder Cañon City nicht willkommen, also landen sie eben in Pueblo oder Colorado Springs und müssen eine Stunde pendeln. Unser Direktor beispielsweise ist ein Schwarzer. Der kann hier in der Gegend nicht wohnen.»
     
    Im Juni 1987 , nachdem der Abtei-Verkauf geplatzt war, erfuhr die Gesellschaft zur Wirtschaftsförderung in Fremont County (FCEDC) von Jim Jones, die U S-Vollzugsbehörde habe entschieden, im Westen der Vereinigten Staaten einen vollkommen neuen Gefängniskomplex zu bauen. Daraufhin erschloss dieFCEDC in Fremont County schleunigst vier mögliche Gelände, und Jones zeigte sich besonders an einem Grundstück interessiert, das der Strafvollzugsbehörde des Staates Colorado gehörte und zwischen Cañon City und Florence gelegen war. Die FCEDC versicherte ihm, er könne das Land kostenlos haben.
    Im Mai 1988 fragte Jim Jones

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