Anleitung zum Alleinsein
zweiundsiebzigjährige Texanerinmit Brillantohrringen und einem weißen Ford-Pickup, ihr Möbelgeschäft auf, weil an der Wall Street mehr Geld zu verdienen ist und sich (wie sie scherzt) Aktienpakete leichter tragen lassen als Möbel.
Betonverschalte Bewässerungsgräben säumen die Nebenstraßen, halten die von Pappeln beschatteten Rasenflächen vor den stuckverzierten Häuschen und ein paar viktorianischen Backsteinvillen grün. Die Cyanide Street am Westrand der Stadt endet vor einem trostlosen Caravanplatz, der «Zur letzten Meile» heißt. Der Arkansas River, der unmittelbar dahinter rauscht und tost, hat die Farbe gedünsteter Artischocken.
Einst hatte Florence dreißigtausend Einwohner; da war es noch das Zentrum einer boomenden Abbauindustrie. Kohle, Erdöl, Gold, Kalkstein, Gips, Fullererde und Alabaster wurden hier gewonnen oder verarbeitet. «Florence’s Nr. 42», die älteste ununterbrochen in Betrieb befindliche kommerzielle Ölquelle des Landes, liefert zwar noch immer vier Barrel pro Tag. In den achtziger Jahren ging jedoch ein Großteil des mineralischen Reichtums von Fremont County zur Neige. Zerstörte Berghänge und unnatürlich wirkende Schluchten zerfurchten die Landschaft, und die Bevölkerungszahl von Florence sank im freien Fall auf dreitausend.
«Wir waren wie ausgetrockneter Seegrund, ein Lehmgelände voller Risse», sagt Skip Dyer, der ehemalige Vorsitzende der Gesellschaft zur Wirtschaftsförderung in Fremont County. «Das Geld war das Wasser, und das Wasser war einfach verschwunden. Für viele, viele Menschen und für viele, viele Firmen waren das ziemlich verzweifelte Zeiten.»
Für das wirtschaftlich ausgedörrte Fremont County stellte eine Bundeshaftanstalt den Endpunkt einer Pipeline dar, durch die Bundesmittel in Form von Lohngeldern von bis zu fünfzigtausend Dollar täglich fließen konnten. Auch einmalige wolkenbruchartige Geldschauer gab es, wenn im Gefängnis Einrichtungenhinzugebaut oder renoviert wurden. Die Befürworter der Anstalt prophezeiten steigende Kundschaft für ihre Unternehmen und ein derartiges Anwachsen der Bevölkerung, dass es neue Arbeitgeber in die Gegend locken würde.
Das Anzapfen der neuen Bundesquelle begann 1986, als ein Bleistiftverkäufer aus dem Ort, Tom Schryver, seine Chance erkannte, einen guten alten amerikanischen Coup zu landen. Es fügte sich, dass Schryvers Bruder bei der U S-Vollzugsbehör de arbeitete, und der erzählte ihm, man suche Colleges und Klöster, die in finanziellen Schwierigkeiten steckten und in Gefängnisse der niedrigsten Sicherheitsstufe umgebaut werden könnten. Des Weiteren fügte es sich, dass Cañon City genau so eine Immobilie hatte: die Abtei Holy Cross. Sie lag auf einem neunzig Hektar großen Gelände unmittelbar hinter der Stadtgrenze von Cañon City, in der Nähe des Wal-Mart, und war ausgestattet mit Schlafräumen und einem Speisesaal, in dem sich dreihundert Personen verköstigen ließen. Die Finanzsituation des Klosters war angeblich prekär.
Zudem gab es reichlich Hinweise, dass Fremont County nichts dagegen einzuwenden hatte, Häftlinge bei sich unterzubringen. An einem Sonntagvormittag nach meinem Besuch im ADX hole ich einen Florencer Stadtrat namens Jimmie Lloyd ab, der mir versprochen hat, mich Schryver vorzustellen. Lloyd, ein pensionierter Oberstleutnant der Air Force, fasst die Einstellung der städtischen Bevölkerung zu Gefängnissen wie folgt zusammen: «Ausbrecher bleiben nicht hier in der Gegend, und wer steigt schon in ein Haus ein, das einem Gefängniswärter gehören könnte? Du wirst geschnappt und kommst in den Knast, und dann ist das Opfer womöglich noch dein Wärter. Außerdem riskierst du, dass dir die Birne weggepustet wird. In dieser Gegend gibt’s fast mehr Waffen als in halb Colorado.»
Auf unserer Fahrt durch die nicht eingemeindete Kleinstadt Penrose kommen Lloyd und ich an einem Haus mit Straußen imHof vorbei, und er äußert dazu die Ansicht, eine Straußenfarm funktioniere auf der Basis eines halsabschneiderischen Schneeballsystems. An einer staubigen Straße, wo die Hausnummern keiner nachvollziehbaren Logik folgen, entdecken wir schließlich Tom Schryvers bescheidenen Flachbau.
Schryver ist ein gutmütiger Mann mit offenem, glattem Gesicht. Er hat einen dicken Bauch, aber die attraktiven Züge eines schlanken Menschen. In Sandalen und einer schokoladenbraunen Polyesterhose erwartet er uns an der Tür. «Ich bin bloß ein alter Hinterwäldler», sagt er fröhlich zu
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