Anleitung zum Alleinsein
Eindruck auch wirklich vermitteln möchte.
Bei jedem Kontrollpunkt, den wir passieren, schiebt er eines der Polaroids, die Donna von mir gemacht hat, in einer Metallschublade zu einem Wärter hinter dickem Glas, und der Wärter schiebt ein karrottengroßes tragbares Schwarzlicht zurück, damit mein Stempel überprüft werden kann. Offenbar genügt es, dass auf meinem Unterarm etwas aufleuchtet.
Folgendermaßen betritt nun ein Häftling einen «Kontakt»-Besuchsraum im ADX. Mr. Winn und ich stehen auf der Freie-Welt-Seite des Betontischs, der den Raum teilt, und die Tür hinter uns ist von außen verschlossen worden. Durch das winzige Fenster in der Tür gegenüber höre ich Klappern und Klirren und erkenne Köpfe und Schultern. Die Tür geht auf, und Mutulu Shakur tritt ein, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Die Tür schließt sich hinter ihm. Mit einem komplexen Gesichtsausdruck, in dem sich Unbekümmertheit, Zorn und Würde mischen, stellt er sich rücklings an die Tür und kauert nieder, worauf der Wärter draußen eine schuhkartongroße Klappe öffnet und hindurchgreift, um ihm die Handschellen abzunehmen. Die Handschellen verschwinden, die Klappe wird geschlossen und verriegelt.
Mr. Winn baut sich hinter mir an der Wand auf. Während des gesamten Gesprächs blicke ich mich kein einziges Mal nach ihm um, doch die Schwingungen, die ich von ihm empfange, sagen mir, dass er oft auf die Uhr schaut.
Shakur trägt eine blaue Strickmütze und die typische schwarze Plastiksonnenbrille. In seinen Dreadlocks schimmert es grau. Er fragt mich, woher ich seinen Namen und seine Häftlingsnummer habe. Ich antworte: Von einer
prison-watch -Gruppe
in Boulder, die enge Verbindungen zu politischen Gefangenen unterhält. Shakur ist Aktivist der Bewegung «Republic of New Africa» und wurde unter anderem wegen Beteiligung an einem bewaffneten Raubüberfall im Jahr 1984 verurteilt, bei dem zwei Polizisten starben; nach Maßgabe des RIC O-Gesetzes gegen kriminelleVereinigungen wurde er angeklagt, weil die Räuber sich in seiner Akupunkturklinik getroffen hatten.
Shakur erklärt, er sei im Hochsicherheitsgefängnis gelandet, erst in Marion und nun im ADX, weil der Direktor seines ersten Gefängnisses in Lewisburg, Pennsylvania, der Ansicht gewesen sei, er habe zu großen Einfluss auf die jungen Schwarzen und zu viele Außenkontakte. Shakurs Botschaft an mich in unserem allzu kurzen Gespräch ist, dass Schwarze, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen seien, ihrer Gemeinschaft Orientierung bieten könnten, das System sie aber wegsperre, damit die schwarzen Gemeinschaften des Landes führerlos blieben. «Die Gefängnisse werden in abgelegenen Gegenden gebaut», sagt er. «Selbst Leuten wie mir, die einen Rückhalt in Gemeinschaften haben, fällt es schwer, sich mit der Welt verbunden zu fühlen. Stellen Sie sich aber mal einen Jungen vor, der wegen zehn Gramm Koks fünfundzwanzig Jahre kriegt: Der ist isoliert. Das Potential für seelische Schäden ist gewaltig.»
Als er aufsteht, um zu gehen, bittet er mich, meinen Artikel seinem Sohn zu schicken. «Tupac Shakur», sagt er. «Sie wissen ja, wer das ist.»
Ich verspreche ihm, Tupac ein Exemplar zukommen zu lassen.
Als Mr. Winn und ich wieder allein sind, hält er mir einen Vortrag. Er sagt, das ADX sei den Medien gegenüber «vollkommen offen» und dass er keinen Einfluss darauf habe, was ich aus meinem Rundgang machen wolle. (Kichernd zitiert er die Schlagzeile des Artikels über das ADX, den die Londoner
Times
einmal gebracht hat:
Amerikas wilde Männer in «Gräbern» eingesperrt
.) Allerdings sagt er, es wäre ihm lieber gewesen, wenn ich ihm von meinem Anruf bei der Menschenrechtsgruppe in Boulder vorher erzählt hätte. «Sie hätten das nur zu erwähnen brauchen», sagt er. «Dann hätte ich besser verstanden, was Sie vorhaben.»
Ich erkläre ihm, ich hätte mich nur deshalb an Boulder gewandt,weil ich die Namen von Insassen brauchte, die zu einem Gespräch bereit seien. Doch inzwischen hat sich seine Enttäuschung über mich wohl schon zu einem Urteil ausgehärtet.
Als Nächstes eröffnet er mir, dass unser Rundgang um 15.30 Uhr beendet sein müsse. Jetzt ist es 14.15 Uhr, wir sind noch gar nicht richtig losgegangen, und ich habe noch ein zweites Gespräch zu führen. Schade, sagt er, dass ich nicht schon morgens gekommen sei. Dann hätten wir den ganzen Tag zur Verfügung gehabt.
«Aber ich hätte jederzeit kommen können», sage ich. «Sie meinten,
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