Anleitung zum Müßiggang
Mittagessen von der neuen Arbeitsmoral bedroht war. »Ihre atemlose Hast der Arbeit«, schrieb er in Die fröhliche Wissenschaft , »beginnt bereits durch Ansteckung das alte Europa wild zu machen ... Man denkt mit der Uhr in der Hand, wie man zu Mittag isst, das Auge auf das Börsenblatt gerichtet, – man lebt wie einer, der fortwährend etwas ›versäumen könnte‹« Der Tod des Mittagessens war für einige von uns eine größere Katastrophe als der Tod Gottes.
Auch Lin Yutang, der über das New York um 1930 schrieb, beklagte, dass die Schnelligkeit des Lebens das Essvergnügen zerstöre. »Das Tempo des heutigen Lebens ist so hoch, dass wir immer weniger Zeit und Nachdenken auf das Kochen und Essen verwenden ... es ist ein ziemlich verrücktes Leben, wenn man isst, um zu arbeiten, und nicht arbeitet, um zu essen.«
Diese Einstellung zum Essen, nämlich dass es lediglich zum Arbeiten befähigen soll, wurde von den Faschisten eifrig propagiert. Das Mittagessen, glaubten sie, sei nützlich, denn es steigere die Produktion. Vergnügen war dabei nicht von Bedeutung. Die folgende Passage entstammt einem italienschen Handbuch für Fabrikdirektoren aus dem Jahr 1940:
Es kann dem Industriellen nicht gleichgültig sein, dass seine Arbeitnehmer, solange sie in der Fabrik sind, in der Lage sein sollten, sich mehr oder weniger angemessen zu ernähren. Neben den humanitären Gesichtspunkten sollte er erkennen, dass es der Zweck der Nahrung ist, dem Körper des Arbeiters eine Energiespritze zu verabreichen, durch die er das wieder aufzufüllen vermag, was durch körperliche und geistige Anstrengung verbraucht wurde, und so einen möglichst hohen Punkt in der Produktionskurve zu erreichen und einzuhalten in der Lage ist, die, wie wir wissen, rasch abfällt, wenn der Arbeiter seine Energiereserven erschöpft hat.
Die Preisgabe des Essens zugunsten der Arbeit erreicht ihren Höhepunkt in den Jahren nach 1980. In Oliver Stones Film Wall Street äußert der zielstrebige Börsenmakler Gordon Gekko den unsterblichen Satz: »Lunch? Sie machen wohl Witze. Lunch ist was für Schlappschwänze.« Lunch hieß, eine Stunde verplempern, die mit Arbeit verbracht werden konnte. Geselligkeit und Vergnügen waren von der Karte gestrichen. Das Mittagessen war den großen Göttern Arbeit, Fortschritt und »den Nebenmann ausstechen« geopfert worden. Niemand hat, scheint es, die Zeit, in aller Ruhe zu essen. Weit verbreitet ist der Anblick von Leuten, die zwischen U-Bahnstopps schnell einen Burger oder ein Sandwich reinschlingen. Diese Art zu essen hat fast etwas Schuldbewusstes und Heimlichtuerisches an sich. Es handelt sich nicht um Essen: Es ist lediglich ein Auftanken. Dasselbe war schon dem Frühstück passiert. Handliche, kleine, feste Getreidehäppchen namens »Frühstücksriegel« preisen sich mit dem Slogan an: »Gutes Essen nebenbei«. Was auf diese Weise sehr viel effizienter ist.
Heute sind die Werkskantinen privatisiert, und in den Großstädten essen wir allein, bei McDonald’s, Burger King, Kentucky Fried Chicken oder dem oben erwähnten Pret A Manger. Das sind die Lokale, die heute die faschistische Definition von der Funktion der Nahrung erfüllen, »dem Körper des Arbeiters eine Energiespritze zu verabreichen«. Es ist ein erbärmlicher Anblick, den in diesen Läden die Reihen einsamer Arbeitnehmer bieten, die freudlos vor sich hinmampfen, Zeitung lesen oder ausdruckslos auf die Straße starren. Der französische Philosoph Jean Baudrillard äußert sich in seinem Buch America (1986) über den traurigen Anblick, den ein anderes seltsames modernes Phänomen – die Jogger – bietet und schreibt dann: »Die einzige vergleichbare Trübsal ist die eines Menschen, der mitten in der Großstadt alleine isst.«
In England und den USA haben Müßiggänger mit Schrecken das Aufkommen von Cafés à la Starbucks bemerkt, wo sich viele von uns heutzutage zu Mittag eilig ein Sandwich holen. Die Cafés des einundzwanzigsten Jahrhunderts haben wenig oder gar nichts mehr mit den Cafés des achtzehnten Jahrhunderts gemein, den Müßiggängerzentren par excellence, in denen Punsch in riesigen Schalen serviert wurde und deren Zweck es war, das gesellige Miteinander zu fördern. Die modernen Costas oder Starbucks’ haben als Geheimmission ausschließlich nützliche Ziele: Sie verkaufen dir starken Kaffee und etwas Brot, damit du den Tag im Zustand großer Sorge und Angst überstehst. Sie verströmen den unerfreulichen Geruch von
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