Anleitung zum Müßiggang
Effizienz.
Die erste Kaffeehauswelle, die 1996 an britische Gestade schwappte, wurde von der Seattle Coffee Company angeführt. Zunächst erschien die Idee verführerisch. Weiche Sofas, guter Kaffee, gedämpftes Licht, leckere Snacks. Es war zugegebenermaßen unser eigener Fehler: Das britische Café hatte es nie richtig hingekriegt, mit seinem zu scharf gebrannten Pulverkaffee, dem kalten Toast, dem mürrischen Service, der Neonröhren-Beleuchtung, den am Boden festgeschraubten orangefarbenen Tischen, seiner Unsauberkeit und Fadheit. Es bestand also fraglos eine Marktlücke. Ich weiß noch, dass ich ziemlich begeistert war, als ich in einem Artikel für die Zeitschrift Face den Unterschied zwischen einem wässerigen Milchkaffee und einem doppelten Chocomocha erklärte. Die neuen Cafés hatten was von Westküsten-Chic an sich, sie erinnerten entfernt an Beatnikschuppen in San Francisco, sie wirkten wie Schutzzonen für Müßiggänger, wo man herumhängen, rauchen und sich wie ein französischer Intellektueller fühlen konnte. Konnten sie ein Geschenk für die Untätigen sein?
Aber die behagliche, unternehmerische Seattle Coffee Company verschwand von der Bildfläche, als die mächtige Starbucks-Gruppe 1998 sämtliche 65 Läden aufkaufte, und heute hat jede Hauptstraße ihr Costa, Starbucks, Aroma oder Nero. Diese Cafés sind alles andere als Etablissements für Flaneure, sondern Boxenstopps für Arbeitsmaschinen, Tankstellen für Menschen. Der Schriftsteller Iain Sinclair sagt dazu: »Die gesamte Kultur hat sich beschleunigt, so dass die Leute sich nur noch anstellen, um sich Essen zum Mitnehmen zu holen. Und das ist der Tod der Cafés. Wer hängt noch tagelang in Cafés herum? Das ist passé.«
Und was ist das Resultat dieser ganzen Kaffeetrinkerei? Wir sind alle kribbelig. England ähnelt allmählich den Vereinigten Staaten, wo der Alkohol vom Kaffee verdrängt worden ist. Statt also den ganzen Nachmittag halbwegs angeschickert zu sein, wie zu den Zeiten des Drei-Martini-Mittagessens, sind Geschäftsleute beim Koffein gelandet, schwitzend, nervös, gehetzt, schreien sie Untergebene an und kriegen Magengeschwüre. Ich bin sicher, dass wir bald die entsetzlichen Auswirkungen dieses Kaffeewahns auf die körperliche und geistige Gesundheit der Nation entdecken werden. Aufrichtig gesagt, die Kaffeekultur ist für den Müßiggänger von Nachteil.
Doch vor gar nicht so langer Zeit gab es in London und New York City – den beiden Polen der Arbeitsmoral – eine Blüte des gemächlichen, gemütlichen Mittagessens.
»Für den Lunch ist New York die herrlichste Stadt der Welt … Das ist die gesellige Zeit«, schrieb der Humorist William Emerson 1975 in Newsweek. Diese Mittagessen waren außerdem über die Maßen alkoholgeschwängert; der amerikanische Präsident Gerald Ford sagte 1978 in einer Rede: »Der Drei-Martini-Lunch ist der Inbegriff amerikanischer Effizienz. Wo sonst bekommt man zur gleichen Zeit die Ohren, den Magen und das Maul gefüllt?« Und warum sind Witz und unbeschwerter Humor aus den Präsidentenreden verschwunden?
Na ja, wenn du jemals drei Martinis getrunken hast, wirst du wissen, dass die Wirkung mächtig ist. Sie sind so stark, dass man sie praktisch inhaliert. Schon nach dem allerkürzesten Kontakt mit dem Magen steigen sie einem in den Kopf. (Wir kommen auf das Thema im Kapitel »Erster Drink des Tages« zurück.) Drei Martinis zum Lunch müssen dazu geführt haben, dass man nachmittags um 4 an der Park Avenue einige Staatsmänner und Geschäftsleute mit einem ganz netten Schwips, ganz zu schweigen von ihren mächtigen Mähnen und superbreiten Schlipsen, in Taxis wanken sehen konnte, bevor sie in ihre holzgetäfelten Büros zurückfuhren, um ihre Krawatten zu lockern, die Füße auf den Schreibtisch zu legen und der Belegschaft den Rest des Tages freizugeben.
Die Jahre ab 1970 waren auch für London ein goldenes Lunch-Zeitalter. Der Journalist und Schriftsteller Keith Waterhouse war ein Meister in der Kunst des Mittagessens und schrieb sogar ein wunderbares Buch darüber, The Theory and Practice of Lunch, das 1986 erschien, als der Lunch noch nicht völlig zu einem bloßen Magenfüller degeneriert war. Darin bot Waterhouse eine längere Definition dessen, was der Lunch ihm bedeutete, wobei von entscheidender Bedeutung ist, dass dessen reiner Nutzenfaktor nicht zu seinen Kriterien gehörte: »Er ist keine Mahlzeit, die, wie sympathisch die Tischgesellschaft auch sein mag, mit dem Hauptziel der
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