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Anleitung zum Müßiggang

Anleitung zum Müßiggang

Titel: Anleitung zum Müßiggang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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und es gehören natürlich alle möglichen Haken, Leinen und Köder dazu, und es ist eine gewisse Aktivität nötig, um zu dem Ort zu gelangen, an dem man angeln möchte. Aber der wahre Inhalt des Angelns, sein Kern, ist sicherlich die vollkommene Stille und Reglosigkeit. Es geht darum, ruhig und bewegungslos zu sein; und es geht ums Warten. Es geht um Sein und gleichzeitig Nichtsein. Es ist etwas für Philosophen und Poeten. Ja, es ist Philosophie und Poesie.
    The Compleat Angler hat die Form eines Dialogs zwischen einem Fischer (Piscator) und einem Jäger (Venator). Das ganze Buch hindurch nimmt der Piscator den Venator zum Angeln mit und weiht ihn in seine Wasserphilosophie ein. Jeden Abend kehren die beiden in die Bierschenke ein, und nachdem sie den Fang des Tages verspeist haben, singen sie ein Lied zum Lob des Landlebens oder des Angelns. Hier ein Beispiel, das wir alle auswendig lernen und unseren Mitpendlern morgens vorgrölen können:
    Des Fischers Leben ist gewiss
    das beste unter allen,
    ist voller Freud’, ohn’ Bitternis,
    sein Lob soll drum erschallen.
    Jed’ andre Lust
    betört die Brust;
    dies Glück allein
    darf schuldlos sein:
    der Angelsport
    scheucht Unheil fort,
    bringt Frohsinn, reichen Segen.
    Für Walton ist Angeln eine große Harmonisierung. Es verbindet elegant zwei scheinbar gegensätzliche Haltungen: Tun und Nichttun. Walton spielt auf die uralte, schon in der Antike geführte Diskussion an, »ob das Glück der Menschen in der Welt mehr in der contemplatio oder mehr in der actio bestehe«. Nun, argumentiert Walton: »Beide vereinigen sich harmonisch in der höchst ehrenwerten, friedlichen und unschuldigen Kunst des Angelns.« Man könnte die Ansicht vertreten, dass der Kontemplationsanteil den Aktionsanteil deutlich überwiegt, aber Angeln verfolgt klar einen Zweck. Besonders im siebzehnten Jahrhundert, als man den Fisch, den man gefangen hatte, tatsächlich behalten und essen durfte. Heute werden die Fische in den Fluss zurückgeworfen. Im Jahr 1653 gab es natürlich mehr Fische für alle: Die Bevölkerung von Britannien zählte damals sechs Millionen, ein Zehntel von heute.
    Es ist außerdem eine Tatsache, dass um die Zeit, als The Compleat Angler erschien, etwa 90 Prozent der Bevölkerung in kleinen Dörfern oder Städtchen lebten und in der Landwirtschaft oder im Handwerk beschäftigt waren. Aber Walton sah, dass die bäuerliche Lebensart allmählich von der neuen städtischen, von der von fanatischen Puritanern propagierten Arbeitsmoral bedroht wurde, und er betrachtete das Angeln als eine Demonstration gegen den neuen Materialismus. Um das Angeln gegen die »ernsten, würdevollen Männer« zu verteidigen, die darüber spotten, schreibt Walton:
    Es gibt nicht wenige Männer, die man als ernst und gesetzt ansieht und für die wir doch nur Geringschätzung und Mitleid empfinden können, Männer, deren gesetztes Aussehen nur von ihrer sauertöpfischen Gemütsart herrührt; Männer, die nur auf Geld aus sind und all ihre Zeit damit zubringen, Geld zu erwerben und das Erworbene ängstlich zu hüten; Männer, die zum Reichtum verdammt, immerzu geschäftig und missvergnügt sind. Darum bedauern wir Angler diese armen Reichen so sehr ...
    Jeder Müßiggänger, der die Augen offen hält, wird die »sauertöpfische Gemütsart« dieser geschäftigen Leute kennen, die nach Reichtum streben und hochmütig Angler verspotten oder, wie man heute sagt, »verarschen«. Ich würde meinen, dass Angeln noch viel angenehmer wird, wenn man es als revolutionären Akt ansieht, als Protest gegen die Konsumkultur. Hier ist noch ein Angelreim von Walton:
    Wie ist doch vergebens
    der Lauf dieses Lebens:
    Ein trauriges, ach so vergängliches Mühn!
    Geschäfte und Sorgen,
    ob heute, ob morgen,
    derweil uns die Stunden, die Jahre entfliehn.
    Doch wir sind hingegen,
    ob Sonne, ob Regen
    an allen Tagen stets frohgemut.
    Wir bannen die Sorgen,
    singen oft bis zum Morgen
    und angeln und angeln in silberner Flut.
    Das mögen nicht die elegantesten Verse sein, die je zu Papier gebracht wurden, aber sie haben ihren eigenen Charme, denke ich, und machen sicherlich klar, worum es geht. In einer Welt voller Arbeit, Probleme und Geldsorgen ist das Angeln eine willkommene Oase heiterer Gelassenheit. Und wenn das 1653 so war, als die Konsumkultur der reine Wohltätigkeitsbasar war im Vergleich zu der riesigen globalen Shopping Mall, die sie inzwischen geworden ist, überleg mal, in welchem Maß das heute zutrifft. Und das

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