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Anleitung zum Müßiggang

Anleitung zum Müßiggang

Titel: Anleitung zum Müßiggang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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Revolution war die Standardisierung oder Urbanisierung der Arbeitszeit. Daher haben wir das nie zuvor gekannte Bild riesiger Massen von müden Menschen, die sich aus Fabriken und Büros ergießen und in Bars und Cafés eilen.
    Absinth ist ein sehr starker grüner Schnaps. Er kann 60 bis 70 Prozent Alkohol enthalten. Die Franzosen entwickelten eine Absinthsucht von epischen Ausmaßen (1874 tranken die Franzosen 700 000 Liter Absinth pro Jahr, 1910 war die Menge auf 36 Millionen Liter angestiegen). In Paris hockte am Ende des neunzehnten Jahrhunderts schlichtweg tout le monde in den Straßencafés und schlürfte dieses starke Gesöff. »Absinth erleuchtet die rußschwarze Seele«, schrieb der dekadente Dichter Charles Cros.
    Aus zeitgenössischen Berichten erfahren wir, dass die Grüne Stunde eigentlich mindestens zwei Stunden oder sogar die ganze Nacht währte, allerdings bin ich mir sicher, dass sie allen Beteiligten wie eine einzige vorkam. »Der widerwärtige Absinthgeruch hängt schwer in der Luft«, schrieb der zeitgenössische Beobachter H. P. Hugh. »Die ›Absinthstunde‹ der Boulevards beginnt ungefähr um halb sechs und endet ebenso ungefähr um halb acht.« Es war der müßiggängerische Glamour des Absinths, der mich und ein paar Freunde dazu veranlasste, 1999 mit seinem Import nach England zu beginnen. Wir warben für ihn mit dem Slogan: »Heute Nacht feiern wir wie 1899«.
    Der Fin-de-siècle-Maler Henri Toulouse-Lautrec war ein sehr bekannter Absinthtrinker; er besaß sogar einen speziell gefertigten Spazierstock, der eine reichliche Menge der Grünen Fee enthielt. »Am Ende des Tages«, berichtete der zeitgenössische Schriftsteller Gustave Moreau, »humpelte Henri aus seinem Atelier die kurvige Rue Lepic hinunter ... er ging gern in der Dämmerung étouffer un perroquet.« [wörtlich: einen Papageien schlucken – Ausdruck vom Montmartre für »ein Glas grünen Absinth trinken«, der allgemein »perroquet« genannt wurde].
    Toulouse-Lautrec gehörte zweifellos zu denen, die alles daransetzten, die grüne Stunde in die Länge zu ziehen. »... auf dem Hügel [Montmartre in Paris] endet sie nie. Nicht dass er in irgendeiner Weise das Zuhause der Säufer wäre; aber der tödliche schimmernde Drink hält länger an als alles andere, und es ist das Ziel des Montmartre, so lange wie möglich Halt zu machen und die Welt vorbeiziehen zu sehen. Eine Stunde in einem wirklich typischen Treffpunkt der Boheme zu verbringen, gehört zur vorurteilslosen Erziehung. Hier herrscht nicht die unbekümmerte Fröhlichkeit des Quartier Latin, aber gleichwohl findet man das grimmige Vergnügen, über Tod und Pleite seine Scherze zu treiben.« Aus grünen Stunden wurden grüne Tage und grüne Nächte.
    Ernest Hemingway war ein Fan des Absinths. Ich liebe seit jeher seinen Tagebucheintrag: »Gestern Abend mit Absinth besoffen. Führte Messertricks vor.« In seinem Roman For Whom the Bell Tolls (1940) schildert der im Spanischen Bürgerkrieg kämpfende amerikanische Held, wie ein einziges Glas des grünen Stoffs schöne Erinnerungen an frühabendliche Boulevard-Trinkgelage wachrufen könne:
    Eine einzige Tasse ersetzte ihm die Abendzeitung, alle die schönen Abende im Café, alle die Kastanienbäume, die wohl jetzt schon in Blüte standen, die plumpen, schwerfälligen Gäule auf den äußeren Boulevards, die Bücherläden, die Kioske und Galerien, den Parc Montsouris, das Stade Buffalo, die Buttes Chaumont, die Guaranty Trust Company und die Île de la Cité, Foyots altes Hotel, und dass man abends lesen kann und sich entspannen, alles, was ihm einmal Freude gemacht und was er vergessen hatte und was ihm wieder einfiel, wenn er von diesem trüben, bitteren, die Zunge lähmenden, Hirn und Magen wärmenden, die Gedanken ablenkenden Alchimistentrunk kostete.
    Auch der englische Dekadenzdichter Ernest Dowson war ein Anhänger des Absinths. Er litt unter chronischem Geldmangel, und seine Art, finanzielle Prioritäten zu setzten, werden jedem vertraut sein, der seine Jahre um die zwanzig mit dem Streben nach Vergessen zugebracht hat. In einem Brief an einen Freund schrieb er: »Ich schnalle meinen Gürtel enger, um mir genügend Zigaretten und Absinth erlauben zu können.« Dowson starb 1900 im Alter von 32 Jahren.
    Absinth war auch das Getränk solcher Gestalten wie Alfred Jarry, des verrückten Autors der Politsatire Ubu Roi (1896), der sein Haar grün zu färben pflegte, mit einem Revolver herumfuchtelte und eine Todesangst vor

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