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Anleitung zum Müßiggang

Anleitung zum Müßiggang

Titel: Anleitung zum Müßiggang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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Menschen zu betrachten, sowohl die Gefahren wie die Mühsale, denen sie sich, sei es bei Hofe oder im Krieg, aussetzen, woraus so vielerlei Streit, Leidenschaften, kühne und oft böse Handlungen usw. entspringen, so habe ich oft gesagt, dass alles Unglück der Menschen einem entstammt, nämlich dass sie unfähig sind, in Ruhe allein in ihrem Zimmer bleiben zu können. Kein Mensch, der genug zum Leben hat, würde sich, wenn er es nur verstünde, zufrieden zu Haus zu bleiben, aufmachen, um die Meere zu befahren oder eine Festung zu belagern. Die Charge im Heer würde man nicht so teuer bezahlen, wenn man es nicht unerträglich fände, nicht aus der Stadt herauszukommen, und die Unterhaltungen und Zerstreuungen des Spiels sucht man nur, weil man nicht mit Vergnügen zu Haus bleiben kann.
    Hitler, Stalin, Mao, Amin, Mussolini: vor allem anderen waren sie schlicht engstirnige Bürokraten in einem erschreckenden Großformat. Sie nutzten die Ängste ihrer Völker aus, um ihnen das Versprechen absoluter Tüchtigkeit zu machen, mit denen sie in ihrer Schwäche getröstet und zugleich betrogen wurden. »Die meisten Probleme der Welt scheinen von Leuten zu kommen, die zu umtriebig sind«, schrieb Evelyn Waugh. »Wenn die Politiker und Wissenschaftler nur fauler wären, wie viel glücklicher wären wir alle.«
    Die, die sich Zeit lassen, die einen Schritt zurücktreten, um einen Blick auf die Welt zu werfen, die Müßigen, diejenigen, die sich nicht stören lassen, die Schriftsteller, Dichter und Musiker, diese Menschen tragen viel dazu bei, das Leben lebenswert zu machen. Denn sie schaffen Kultur, aber sie neigen nicht dazu, sich in den Lauf der Dinge einzumischen, in das Management der Infrastruktur, die Krankenhausleitung, das Erziehungssystem, die Gemeinderäte, die Steueraufsicht. Und das, weil sie all dies so unaussprechlich langweilig finden. Statt das Leben von anderen Menschen zu verändern, konzentrieren sie sich darauf, ihr eigenes Leben umzugestalten. Wäre es nicht mit dem Zölibat, der Abstinenz und dem allgemeinen Mangel an Spaß verbunden, ich würde behaupten, dass Mönche ein gutes Leben haben. Sie haben sich aus der Welt zurückgezogen und sich dem Gebet und Studium geweiht. Ja, es sind die nachdenklichen, an Zeit reichen Mönche, die einen Großteil der herrlichen Kunst und Literatur des Mittelalters geschaffen haben, denn sie waren frei von den Zwängen, Geld zu verdienen und mit der Mode Schritt zu halten, was schrecklich harte Arbeit ist.
    Zu Hause kann man sich gehen lassen. In What’s Wrong with the World ging G. K. Chesterton gegen die Auffassung vor, das häusliche Leben sei irgendwie beengend. Er behauptete das Gegenteil. »Das Zuhause ist der einzige Ort der Freiheit. Ja, es ist der einzige Ort der Anarchie. Es ist der einzige Fleck auf Erden, wo man urplötzlich seine Entschlüsse ändern, ein Experiment machen oder sich einer Laune überlassen kann … Man kann zu Hause einen Morgenmantel und Pantoffeln tragen, wogegen dies im Savoy sicherlich nicht gestattet wäre …«
    Das bedeutendste literarische Werk, das zum Thema
    Zu-Hause-bleiben je verfasst wurde, ist A rebours von J. K. Huysmans, erschienen 1884. Huysmans war ein dekadenter Fin-de-siècle-Autor mit einem bürgerlichen Tagesjob – er arbeitete dreißig Jahre lang als Beamter im Innenministerium. Aber nachts erlaubte er seiner Fantasie frei umherzustreifen und schuf so einige der faszinierendsten Werke der Epoche. A rebours , übersetzt Gegen den Strich, ist die Charakterstudie eines reichen Dandys namens Des Esseintes. Nachdem er bis zur Neige die Freuden der Stadt genossen und in bizarrem Sex und langen Nächten keinen Lebenssinn gefunden hat, beschließt er, sich in eine Villa am Hang zurückzuziehen und sich seine eigene künstliche Wirklichkeit zu erschaffen, ein eigentümliches Paradies aus Farben, Düften und Schönheit, das von raffinierten mechanischen Vorrichtungen in Gang gehalten wird. Körperliche Trägheit und intellektueller Snobismus motivieren ihn zu diesem Schritt. Er möchte sich nicht anstrengen, er möchte nicht mit seinen Mitmenschen verkehren, die er als hoffnungslos vulgär empfindet. Schon die geringste Anstrengung ist für Des Esseintes vulgär. Besitzt man innere Reichtümer und Bücher, besteht keine Notwendigkeit, herumzureisen, der Aufforderung »Geh!« zu folgen:
    In der Tat erschien ihm das Reisen als Zeitverschwendung, da er glaubte, dass ihm die Fantasie mehr als angemessenen Ersatz für die vulgäre

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