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Anleitung zum Müßiggang

Anleitung zum Müßiggang

Titel: Anleitung zum Müßiggang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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lieben?«
    Des Esseintes’ Projekt mag gescheitert sein, aber das bedeutet nicht, dass wir uns nicht inspirieren lassen sollten von seinem heroischen Versuch, die Seele mithilfe der Innenausstattung zu erheben. Das Problem ist nur, dass das Interesse an Innenarchitektur heute so verbreitet, so ein populäres Hobby geworden ist, dass es denselben Zwängen unterliegt wie alle anderen Teile des Lebens, nämlich: Bin ich cool? Bin ich reich? Wir benutzen unsere Kleidung und unsere Wohnungseinrichtung, um unsere Coolness und unseren Reichtum zu demonstrieren. Das Coolsein hat ein so hohes Prestige erreicht, dass es dieselbe Macht über uns ausübt wie früher die Tugenden »Geschmack« oder »Rechtschaffenheit« oder »Sauberkeit«. »Cool!« könnten wir von der Junggesellenbude eines Freundes sagen, so wie man vor hundert Jahren vielleicht anerkennend gesagt hat: »Sauber!«
    Die Wohnzeitschriften und Fernsehprogramme, die unglaublich idyllische Lebensformen zeigen, spielen alle ihre Rolle in dieser Verschwörung, mit dem Ziel, dass wir uns klein und schäbig fühlen. »Get the look« schreien uns die Zeitschriften entgegen, wenn sie eine Liste von Produkten drucken, die denen ähneln, die wir im Wohnzimmer der Prominenten gesehen haben. Das ist alles reine Fantasie: die Wohnung ist nicht idyllisch, der Gegenstand wird uns nicht helfen, »den Look« zu bekommen, und noch weniger wird er uns über die Anfangserregung des Kaufs hinaus irgendwelche dauerhafte Zufriedenheit verschaffen, ganz zu schweigen von der Riesenmenge Arbeit, die mit dem »Get the look« verbunden war. Außerdem werden die Gegenstände in die Liste aufgenommen in der Hoffnung, dass die Hersteller Anzeigen in der Zeitschrift schalten und so den Profit der Zeitschrift erhöhen, und unsere Unsicherheit nutzen sie aus, um uns zum Kauf von bestimmten Sachen zu verleiten. Sie sorgen dafür, dass wir uns schlecht fühlen: In The Simpsons liest Marge eine Zeitschrift mit dem Titel Schönere Wohnungen und dem Untertitel »Als Ihre«. Ziel des Interieurs sollte es meiner Meinung nach sein, uns zu helfen, der Welt draußen zu entfliehen , und nicht, sie in unsere Wohnung hineinzuholen. Auf ähnliche Weise entflieht auch der Müßiggänger der äußeren Welt, um sich in seine eigene geistige Innenwelt zurückzuziehen. Wo denkt man denn? In seinem Kopf, in seinem Bett.
    Dieses alternative Einrichtungsideal findet man in der chinesischen Literatur ebenso wie in der Lebensweise der Bohemiens, der Freien und Ungebundenen und der begeistert rauchenden Bloomsbury-Clique. Beim Ideal der Chinesen und Bohemiens geht es um Einfachheit und Harmonie mit der Natur. Das hat auch den Vorteil, dass eine individuelle Einrichtung erschwinglich wird. »Wir werden unsere Häuser in ihrer Art … so einfach und natürlich bauen, dass sie sich in die Mulden der Hügel einfügen … ohne die Harmonie der Landschaft oder den Gesang der Vögel zu stören«, war 1889 der Traum des Schriftstellers der Vor-Boheme Edward Carpenter.
    Der Held eines Roman der inzwischen vergessenen Ethel Lannin drückt es folgendermaßen aus: »Er liebt dieses kahle Zimmer mit seinem hohen Fenster und den blassen Wänden und Bücherregalen und dem Diwan mit dem handgewebten blau-gelb gestreiften Leinenüberwurf und den abgewetzten Eichenstuhl mit dem Binsensitz und den blau gestrichenen Tisch und die Binsenmatte … Irgendwie reduzierte es die Probleme des Lebens auf Einfachheiten.«
    Einfach bedeutet auch weniger Arbeit und weniger Einkaufen. Der Ästhet Cecil Beaton richtete einen ähnlichen Appell an die Leute, sich der Mode zu entziehen und ihren persönlichen Stil zu wählen:
    Letztlich kann nur der persönliche Geschmack wirklich Stil oder Mode schaffen, da es ihm nicht darum geht, im Kielwasser von anderen zu schwimmen. Hieraus folgt, dass, was immer ein persönlicher Geschmack auswählen mag, sei es eine Trittleiter oder einen Weidenkorb, es immer auf einer klaren persönlichen Wahl beruhen muss, einem geistigen Bedürfnis, das diese Leiter oder diesen Korb wirklich schätzt und Wert auf sie legt. Die Schönheit dieser Dinge wird in gewisser Weise durch die Persönlichkeit desjenigen vermittelt, der sie auswählt. Unsere Auswahl schließlich ist es, mit der wir das Innerste unseres Ich verraten, und der Individualist kann uns dazu bringen, die Gegenstände seiner Wahl mit neuen Augen, mit seinen Augen zu sehen.
    Oder wie Quentin Crisp bemerkte:
    Mode heißt, niemals entscheiden müssen, wer du bist.

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