Anleitung zum Müßiggang
Wirklichkeit des tatsächlichen Erlebnisses bieten könne … Er zweifelte zum Beispiel nicht, dass jemand auf lange Entdeckungsreisen gehen kann, während er am Feuer sitzt, und seinem trägen oder störrischen Geist notfalls aufhilft, indem er einen flüchtigen Blick in irgendein Buch wirft, in dem Reisen in ferne Länder beschrieben werden.
Des Esseintes kann den hohlen Materialismus der Welt und das Banausentum seiner Mitmenschen nicht ertragen.
Er konnte eine so eingefleischte Dummheit, einen solchen Hass auf seine eigenen Ideen, eine solche Verachtung für die Literatur und Kunst und alles, was er wertschätzte, eingepflanzt und tief verwurzelt in diesen niedrigen Krämerseelen entdecken, die sich ausschließlich mit Gedanken befassten, wie man betrügen und Geld raffen könne, und nur zugänglich waren für jene niedrige Auszeichnung mediokrer Intellekte, die Politik, dass er wütend nach Hause eilte und sich mit seinen Büchern einschloss.
Huysmans’ Absicht war es, über einen Charakter zu schreiben, der »in der Künstlichkeit ein Mittel gegen den Ekel entdeckte, der ihm durch die Sorgen des Lebens und die amerikanischen Sitten seiner Zeit eingeflößt wurde. Ich stellte mir vor, dass er ins Land der Träume fliegt, Zuflucht in extravaganten Illusionen sucht, allein und abseits lebt, weit weg von der heutigen Welt, in einer Atmosphäre, die an freundlichere Epochen und eine weniger scheußliche Umgebung erinnert.«
Und so macht sich Des Esseintes daran, befreit von all den störenden Ellenbogentypen sich sein häusliches Wunderland zu erschaffen. Unterstützt von zwei irritierten Dienern verwendet er seinen Reichtum und seine Fantasie, die er beide in Fülle besitzt, um sich eine absurd extravagante Realität zu errichten. Als Erstes beschließt er, künftig tagsüber zu schlafen und nachts zum Leben zu erwachen:
Was er sich wünschte, waren Farben, die im künstlichen Licht kräftiger und klarer erscheinen würden. Es interessierte ihn nicht besonders, wenn sie im Tageslicht grell oder fade aussahen, denn er lebte größtenteils in der Nacht, weil er meinte, die Nacht biete größere Intimität und Abgeschiedenheit, und der Geist werde erst durch das Bewusstsein der Dunkelheit wachgerüttelt und angeregt; außerdem zog er einen eigentümlichen Genuss daraus, sich in einem gut beleuchteten Raum aufzuhalten, wenn alle Häuser in der Umgebung in Schlaf und Dunkelheit gehüllt waren, eine Art Vergnügen, bei dem Eitelkeit eine kleine Rolle gespielt haben mag, ein ganz besonderes Gefühl der Zufriedenheit, das denen vertraut ist, die bisweilen spät nachts arbeiten und die Vorhänge zur Seite ziehen, um zu entdecken, dass überall um sie herum die Welt dunkel ist, still und tot.
Die vielleicht bekannteste Erfindung Des Esseintes’ ist die goldene Schildkröte. Er hat die Idee, dass es amüsant sein müsste, im Salon einen Zierrat zu haben, der sich bewegt. Und so lässt er eine Schildkröte mit Gold überziehen und mit Edelsteinen besetzen. Eine andere Kaprice ist eine Erfindung, die er »Mundorgel« nennt, ein komplizierter Apparat, der aus einer Reihe von Ventilen verschiedene Liköre tropfen lässt, die sich am Gaumen mischen und so eine Symphonie von Aromen komponieren. Außerdem bestellt er die fragilsten, zartesten und degeneriertesten Treibhausblumen als Schmuck für sein Haus. Ein netter Anflug von schwarzem Humor schwingt bei den ernsten Beschreibungen von Des Esseintes’ Experimenten mit: Die Schildkröte, bemerkt er eines Abends, ist gestorben, und nach einer langatmigen Schilderung der »Mundorgel« entdeckt Des Esseintes, dass er keine Lust hat, das ganze Tamtam durchzuspielen, und gießt sich einfach ein Glas Whiskey ein, ehe er sich hinsetzt. Selbstverständlich gehen auch die Blumen allesamt ein.
Schließlich wird Des Esseintes von den Plagegeistern besiegt. Sein Lebensstil macht ihn krank, und es wird ihm von mehreren Ärzten gesagt, er müsse wieder nach Paris ziehen, dort ausgehen, Spaß haben und mit Leuten reden. Sonst wäre sein Los »Wahnsinn, rasch gefolgt von Tuberkulose«. Des Esseintes fügt sich widerwillig ihrem Rat: »Hatte er sich nicht aus der Gesellschaft ausgeschlossen? Hatte er von jemand anderem gehört, der ein Leben wie dieses zu gestalten versuchte, ein Leben träumerischer Kontemplation? Kannte er einen einzigen Menschen, der imstande war, die Feinheit einer Idee zu würdigen, oder dessen Seele empfindsam genug war, um Mallarmé zu begreifen und Verlaine zu
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