Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
Unglaubliche: Das da waren doch seine Zahlen! Sein Geburtsdatum und das von Beate. Und dann 8 . 7 ., als Deutschland 1990 fünf Minuten vor Ende des Spiels gegen Argentinien durch einen Elfmeter von Brehme Weltmeister wurde.
Ganz klar – er hatte gewonnen. Er war reich. Er hatte den ganzen Stress nicht mehr nötig. Ihn konnten jetzt alle mal kreuzweise.
Seit beinahe zwanzig Jahren tippte er jetzt schon diese Zahlen, und er hatte immer gewusst, dass sie eines Tages kommen würden. Heute war der Tag. Sein Tag! Seine Stunde! Endlich!
Aber plötzlich war er sich nicht mehr ganz sicher, ob es nicht vielleicht eine Sinnestäuschung war. Eine Halluzination.
Er entdeckte zwei Jugendliche, die sich ein Sixpack Bier teilten. Rupert winkte sie herbei, doch die zwei erkannten ihn.
»Scheiße, das ist ein Bulle!«
Sie ließen vier Dosen Bier auf dem Boden stehen und rannten los. Jeder hielt noch eine Dose in der Hand, aus der Bierpfützen nach unten aufs Straßenpflaster platschten. Sie waren jung und unerfahren und flohen nebeneinander in die gleiche Richtung. Und weil der eine ganz lässig seine Schuhriemen offen herunterhängen hatte, weil das so cool aussah, und die Jeans des anderen auf Halbmast baumelte, erwischte Rupert sie nach knapp fünfzig Metern, kurz bevor sie in die Brückstraße verschwinden konnten.
Er zerrte sie mit sich. Der mit den offenen Schuhen beteuerte: »Ich hab nix gemacht, Mann!«
Der mit der tiefergelegten Hose jammerte: »Sie tun mir weh!«
Rupert hatte das Silberpapierpäckchen, das sie hatten fallen lassen, durchaus registriert, aber es interessierte ihn jetzt nicht. Er hielt den einen mit links und den anderen mit rechts und brachte sie zurück zu dem Lottogeschäft.
Die zwei waren sehr erleichtert, dass er mit ihnen achtlos an dem Silberpapier vorbeiging, so als hätte er es nicht bemerkt.
»Was wollen Sie?«, fragte der zweifellos Intelligentere der zwei.
Vor dem Schaufenster hielt Rupert an. Er schüttelte den einen und verlangte: »Lies mir die Lottozahlen vor.«
Der Junge machte sich vor Angst fast in die Hose und begriff nicht, was Rupert wollte.
»Du sollst mir die Zahlen vorlesen!«, brüllte Rupert.
Der Junge zog die Schultern hoch und begann: »Sieben, acht … zehn, zwölf, dreiundzwanzig, dreißig.«
Bei jeder Zahl nickte Rupert. Dann guckte er den zweiten jungen Mann an. »Stimmt das, was dein Freund vorgelesen hat? Siehst du die Zahlen auch?«
»Ja. Das ist eine Sieben, das eine Acht. Wilko hat alles richtig vorgelesen. Wir sind nicht auf Droge.«
Rupert ließ beide los und atmete, als hätte er Angst, gleich einen Herzinfarkt zu bekommen. »Also, wir sind uns einig. Ihr seht die gleichen Zahlen da wie ich. Sieben, acht, zehn, zwölf, dreiundzwanzig, dreißig.«
»Ja, und die Superzahl drei«, sagte der mit der Hängehose und sein Kumpel stupste ihn an, er solle doch ruhig sein, und zischte: »Halt die Fresse!« Dann deutete er mit einer Kopfbewegung an, sie sollten sich besser aus dem Staub machen.
»Haut ab!«, sagte Rupert mit fast brüchiger Stimme. »Und vergesst nicht, euer Dope mitzunehmen. Nicht, dass die Hunde oder Katzen das Zeug finden und fressen.«
»Ja, klar. Sie können sich voll und ganz auf uns verlassen!«
Die zwei rannten ein paar Meter, sahen sich nach Rupert um, der vor dem Schaufenster auf die Knie sank.
»Der Bulle ist in Ordnung«, sagte Wilko und hob die restlichen vier Bierdosen auf. Der andere steckte das Silberpapiertütchen ein.
»Ich glaub, dem geht’s nicht so gut. Vielleicht ist dem schlecht.«
»Sollen wir dem ’n Bier geben?«
»Nee, lass uns besser abhauen.«
Rupert bekam Atemprobleme. Er sah Sternchen und fiel um.
Er brauchte einen Moment, bis er sich erholt hatte und endlich wieder ausatmen konnte. Dann bekam er, auf der Straße liegend, einen Lachkrampf.
Als er hochsah, erblickte er das gelbrote Schild:
Neun Millionen im Jackpot!
Jetzt war der mit den offenen Schuhen bei ihm und hielt ihm die Dose hin. »Wollen Sie ’n Schluck?«
»Ja«, lachte Rupert. »Gerne. Knack du sie für mich, Kleiner.«
Der Junge tat es. Dann stieß Rupert mit den Kids an und trank das wohltuendste Dosenbier seines nicht gerade bierarmen Lebens, zusammen mit zwei minderjährigen Jugendlichen in der Auricher Innenstadt.
Der Journalist Holger Bloem war eigentlich auf der Insel, um fürs Ostfriesland-Magazin eine Geschichte über die Anziehungskraft, die Norderney von jeher auf Künstler gehabt hatte, zu verfassen. Heinrich Heine, der
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