Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
pfiff er fröhlich ein Lied. Seine Hände schwitzten in den Gummihandschuhen und nach einer Weile musste er aufhören, weil die Ausdünstungen von Sagrotan und DanKlorix ihm auf die Lunge schlugen und im Hals kratzten.
Er machte sich ein Black Eye, einen schwarzen Kaffee mit zwei Espressi drin. Er wollte wach bleiben, mit jeder Faser seines Körpers genießen, was er zu tun imstande war. Er brauchte keinen Zucker. Es schmeckte ihm auch so, süß wie die Krapfen der Bäckerei Bethke.
Er blätterte im Licht der Stehlampe in Ines’ Tagebuch. Es war, als würde sie mit ihm reden. Er streichelte die Seiten und kam sich vor, als könne er mit den Fingerkuppen ihre Schriftzüge erspüren. Als sei er blind und dies hier in Brailleschrift geschrieben. Dann legte er das Buch zur Seite und holte die Akte hervor.
Obwohl heutzutage alles im Internet recherchierbar war, hatte er eine Papierakte angelegt. Er fand es dem Vorgang gegenüber angemessen.
Über jeden Peiniger hatte er alles gesammelt, was im World Wide Web aufzutreiben war. Er wollte sich auskennen, bevor er zuschlug.
Dieser Eike Klaasen war eigentlich ein kleiner Fisch. Ein dummer Flegel, der sein Mütchen an Ines gekühlt und versucht hatte, vor seiner Freundin toll dazustehen, indem er Ines kleinmachte.
Was Eike Klaasen interessant machte, war, dass seine Mutter eine ostfriesische Vorzeigepolizistin war. Eine Koryphäe auf dem Gebiet der Serienkiller. An der Überführung von einigen der schlimmsten war sie maßgeblich beteiligt gewesen, und Holger Bloem hatte mit seinen Zeitungsartikeln eine Heldin aus ihr gemacht. Welch ein Presseecho würde es geben, wenn er sich ihren Sohn holte!
Trotzdem. Ihm gebührte keiner der ersten Plätze. Das war einfach zu viel der Ehre für so einen kleinen Lümmel. Andererseits, wenn er einen Doppelschlag plante, um großes Aufsehen zu erregen, dann war es genau richtig, sich diesen Eike zu holen. Damit würde die Polizeiarbeit sich auf diesen Bengel konzentrieren. Er stellte sich vor, mit einem Schlag die gesamte Mordkommission geradezu zu paralysieren.
Er war sich im Klaren darüber, dass er gerade dabei war, ein Urteil zu fällen. Ein Todesurteil.
In seiner Akte hatte jeder Täter ein eigenes Deckblatt mit Foto drauf, und damit er sie in dem dicken Ordner schneller fand, waren die Seiten mit bunten Post-its gekennzeichnet. Darauf standen ihre Namen.
Jetzt entschied er sich, damit ein Gottesurteil herbeizuführen. Ja, das war besser, als wenn er selbst es entscheiden würde.
Er zog die Post-its von den Seiten. Es war noch genügend Klebstoff hinten dran, so dass er nach draußen auf den Balkon gehen und alle Zettel mit den kleinen Namenszügen ans eiskalte Geländer kleben konnte. Dann sah er zu, wie der Wind damit spielte. Schon flatterten die ersten beiden davon. Ein hellblauer Klebestreifen und ein roter.
Rebekka Simon und Dirk Kahmann. Dann löste sich Joachim Warfsmann. Schließlich der von Paulus.
Er winkte den fliegenden Zetteln hinterher. Ihr drei seid schon mal gerettet, dachte er. Ich werde mir die beiden holen, die der Wind übrig lässt.
Die restlichen zwölf Zettelchen hielten sich erstaunlich lange. Der Wind machte Geräusche mit ihnen. Es kam ihm vor, als würde er ein Lied spielen.
Sein Black Eye war kalt geworden, doch er mochte den starken Kaffee auch so. Er war gespannt darauf, wen der Wind übrig lassen würde.
Ein Gottesurteil … Welch schöne Idee. Der Herr soll euer Richter sein.
Draußen sah es aus, als sei die Hölle losgebrochen. Der Wind riss eine schwarze Wolke auf und gab dem Mond die Möglichkeit, ihre zerfetzten Ränder in fahlem Licht erstrahlen zu lassen. Es war wie das Auge Gottes oder auch des Satans – jedenfalls zwinkerte er ihm zu.
Dann war der Wetterumschwung schneller da als der Hubschrauber, und Ann Kathrin nahm die Fähre in dem Bewusstsein, dass nichts in Ostfriesland so sicher und konstant war wie der Wechsel. Das machte Planungen schwierig, gab aber dem Leben auch eine leichte Note. Nichts blieb ewig. Mal waren riesige Touristenströme da, dann gingen sie wieder, wie Ebbe und Flut, und zurück blieben leere Geschäfte und Restaurants. Selbst die Einheimischen flohen im November auf südlichere Inseln oder in die heimelige Wärme ihrer Wohnküchen.
Auf der Frisia hatte sich nur eine Handvoll Personen eingefunden, die rüber zur Insel wollten. Unter ihnen ein Kamerateam vom NDR . Der Kameramann hatte nicht nur schwere Probleme mit seiner Schulter und dem ewig
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