Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
zu werden, denn wer wie er alle haben konnte, hatte es schließlich nicht mehr nötig, jeder nachzulaufen, sagte er sich. Außerdem würde seine Beate ihn in Zukunft sehr fordern, das schwante ihm.
Tatsächlich. Sie hatte im Wohnzimmer begonnen, ein Frühstück aufzubauen, aber dann ihr Unterfangen abgebrochen. Rupert staunte. Was hatte das zu bedeuten? Sie war doch Brötchen holen gegangen, oder?
Nein. Die Brötchentüte lag sogar schon auf dem Tisch. Darauf ein plattdeutsches Gedicht von Manfred Briese. Auf dem Computer leuchtete der Bildschirm. Rupert ging hin. Hatte er die Mail gestern Abend überhaupt abgeschickt?
Aber er sah dort nicht seine E-Mail, sondern eine Nachrichtenseite. Worte stießen vor in sein Bewusstsein wie glühende Speerspitzen:
Ungültige Ziehung.
Kugel in Schlitten steckengeblieben.
Ziehung muss wiederholt werden.
Was bedeutete das? Wollte ihn jemand um seinen verdienten Gewinn bringen? War das alles ein Scherz? Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Noch nie waren Lottozahlen für ungültig erklärt worden.
Ganz allmählich ahnte Rupert die Bedeutung des Zusatzes o
hne Gewähr
, worüber er sich früher immer gewundert hatte. Wieso stand das immer unter den Lottozahlen?
Er hatte erst ansatzweise realisiert, dass die neun Millionen vielleicht gar nicht auf seinem Konto landen würden, da meldete sich sein Darmtrakt bei dem Gedanken, welchen Kündigungsbrief er verfasst hatte.
Vielleicht, so war seine Hoffnung, hatte er die Mail ja gar nicht abgeschickt.
Mit zitternden Fingern klickte er zu seinem Postfach zurück und durchsuchte es.
Pech gehabt. Die Mails waren rausgegangen.
Ich bin erledigt, dachte Rupert. Irgendwann wird man einen Film über mich drehen: Aufstieg und Fall des letzten aufrechten Ostfriesen.
Es wäre jetzt doch besser, die Insel zu verlassen. Er musste sein Werk fortsetzen. Er durfte sich keine Pause gönnen und hatte noch so viel vor.
Er nahm die erste Fähre, stand an Deck und trank Kaffee aus einem Becher. Das Koffein durchflutete ihn. Er brauchte das.
Norddeich lag vor ihm. Ruhig und friedlich sah er die Stadt vor sich liegen.
Ich werde durch Ostfriesland sausen wie eine scharfe Sichel durch reifes Getreide, dachte er. Ja, jetzt war die Zeit für den Doppelschlag gekommen. Ab jetzt sollten alle, die Ines gequält hatten, zittern. Er würde ihnen eine unmissverständliche Botschaft zukommen lassen.
Er stellte sich vor, dass einige Kandidaten vor Angst durchdrehen würden. Sogar den einen oder anderen Suizid schloss er nicht aus. Jeder Freitod wäre ein Spaziergang gegen das, was er ihnen zu bieten hatte.
Diesen Eike Klaasen, den würde er in Papenburg verscharren, auf dem Gelände der Gartenschau. Dort war so viel gegraben und gebuddelt worden, dort war der Boden jetzt locker. Riesige Erdmengen hatte man dort bewegt. Das Stadtparkgelände war zwar seit der Eröffnung nicht mehr mit einem Bauzaun vor den Blicken geschützt, aber es wäre trotzdem ein Kinderspiel, Eike dort zur letzten Ruhe zu legen. Und dann sollten sich die gut fünfhunderttausend Besucher, die erwartet wurden, an den Blumen erfreuen, die aus seinem Leichnam wuchsen.
Der Stadtpark war in eine Art stilisiertes Kreuzfahrtschiff verwandelt worden, in die
MS Blühendes Papenburg
. Ja, das war genau das richtige Grab für den Sohn der Kommissarin.
Er grinste, ergriffen von seiner eigenen Idee.
Die Landesgartenschau lief gut ein halbes Jahr lang. An Christi Himmelfahrt würde er ihnen einen Tipp geben, wo die Leiche lag. Das würde der Gartenschau für ein paar Tage zu ungeheuren Schlagzeilen verhelfen und zu ungeahnten Besucherströmen. Wenn die Staatsanwaltschaft das Gelände erst wieder freigegeben hätte, dann sollten auch die Letzten begriffen haben, dass Ines Küppers diesmal das Schlachtfeld des Lebens als Siegerin verlassen würde.
Der Wind tat gut, und der Kaffee mit dem Black Eye auch. Er öffnete den Mund und ließ den Fahrtwind in sich hinein wie frische Lebenskraft. Seine Zähne schmerzten von der Kälte, aber das war ihm egal. Ja, in gewisser Weise tat der Schmerz sogar gut. Er spürte, dass er lebte. Er fühlte Ines in sich. Noch einmal riss er den Mund weit auf und hielt ihn in den Wind, als könne er so ihre Seele essen und sich ganz einverleiben.
Er schwamm in dieser übergroßen Liebe wie in einem Meer. Es machte ihm nichts aus, getötet zu werden. Er würde doch nur Ines folgen, und deshalb konnte ihn eine Polizeikugel nicht schrecken. Die Hölle, das war der Platz hier
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