Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
Güte, muss der sich über uns kaputtgelacht haben … Wir reden ihn mit
Klar
an, dabei hat er den umgebracht. Er hat ihn aus seiner Wohnung geholt und … Natürlich! Deshalb standen Klars Auto und sein Motorrad noch da. Der Täter hat ihn mit seinem Fahrzeug abtransportiert.« Und sofort folgerte sie: »Die beiden kannten sich. Klar hat ihn reingelassen. Vermutlich war sogar eines der Steaks für seinen Mörder. Der konnte nur dann gar nicht mehr abwarten und hat ihn vor dem Essen erledigt.«
»Dann sind wir jetzt wieder bei null«, sagte Weller, und etwas in ihm brach zusammen. Er fühlte sich wieder wie damals als kleiner Junge, wenn er sich auf die falschen Fragen vorbereitet hatte und in der Schule bei der Prüfung merkte, dass all sein Lernen umsonst gewesen war, denn das Wissen, das er sich einverleibt hatte, wurde hier nicht abgefragt. Weller nannte es noch heute voller Ekel »Bulimielernen«. So viel wie möglich reinstopfen und danach alles wieder auskotzen.
Und auch jetzt wurde ihm schlecht. Sein Magen spielte verrückt, und er hatte einen unangenehmen Geschmack im Hals.
»Wir sind keineswegs bei null«, sagte Ann Kathrin. »Im Gegenteil. Wir waren ihm nie so nah.«
Sylvia Hoppe telefonierte bereits die Kriminaltechniker und die Spurensicherung herbei.
Rieke Gersema wollte wissen, ob der Parkplatz videoüberwacht wurde. Holger Bloem verneinte.
Eike wusste nicht, wie viel Zeit er schon wieder in diesem Sarg verbracht hatte, aber inzwischen war ihm vieles vertraut geworden, und er fand sich besser zurecht. Der Sarg war von hier noch nicht wegtransportiert worden. Ines Küppers’ Vater hatte noch keine Stahlnägel hindurchgeschlagen, sondern nur damit gedroht.
Er war jetzt unterwegs, um den toten Johannes Klar wegzubringen. Da war sich Eike ganz sicher. Eine Leiche wurde entsorgt, und er sollte die nächste werden.
Noch war er nicht unter der Erde, und er hatte auch nicht vor, sich so einfach eingraben zu lassen.
Er versuchte, sich mit Schlägen gegen immer ein und dieselbe Stelle zu befreien. Irgendwann musste das Holz doch brechen. Er versuchte es mit seinem rechten Ellbogen. Er hämmerte ihn unentwegt gegen das Holz. Inzwischen spürte er den Arm schon gar nicht mehr. Er stellte sich vor, dass der Knochen darin bereits zu Mehl verarbeitet worden war.
Na und?, dachte er. Dann werde ich später eben mit einem steifen Arm durch die Welt laufen. Aber ich werde laufen.
Jetzt zählte nur eins: diesen Horror hier zu überleben.
Er wird mich, dachte Eike, nicht einfach so nach Papenburg bringen und dann dort verscharren. In seinem großen Rachedurst wird er mich noch einmal sehen wollen. Er will meine Angst genießen. Das ist meine Chance.
Ich werde mich ohnmächtig stellen. Und wenn er sich über mich beugt, um mich herauszuheben aus diesem Sarg oder um festzustellen, ob ich überhaupt noch lebe, dann schnelle ich mit den Füßen hoch und nehme ihn in eine Beinschere.
Eike weidete sich an diesem Gedanken. Er zog sich daran hoch und versuchte, sich seelisch daran aufzurichten. Er stellte sich vor, wie er den Hals seines Peinigers zwischen seinen Schenkeln hatte, hinter ihm die Füße verschränkte und einfach zudrückte.
Ich werde ihm in die Augen schauen, während er stirbt, dachte Eike. Oh ja, genau das werde ich tun. Vielleicht kann ich sogar zusätzlich noch ein paar gute Fausthiebe auf seine Nase platzieren, damit er spürt, wie weh das tut.
Es tat ihm gut, Pläne zu schmieden, aber jetzt wurde ihm klar, dass er aufhören musste, weiter mit den Ellbogen gegen das Holz zu hauen. Er durfte sich nicht selbst kampfunfähig machen. Außerdem hatte er Angst, die Geräusche könnten Küppers vorwarnen und darauf vorbereiten, kein halbtotes Opfer, sondern einen kampfbereiten jungen Mann vorzufinden.
Nein, er durfte ihn nicht warnen. So schwer es ihm fiel, er musste ruhig bleiben und hoffen, dass er Küppers richtig einschätzte. Wenn er keinen Wert mehr darauf legte, ihn anzuschauen, sondern einfach nur den Sarg abholte, um ihn zu vergraben, oder den Sarg schlicht hier stehenließ, bis jemand anders ihn fand, würde er hier sterben.
Wie viel Zeit habe ich wohl noch?, fragte er sich und erwischte sich dabei, auf Küppers’ Rückkehr zu hoffen.
Die ständigen Schläge hatten seinen Ellbogen, ja den ganzen Arm, betäubt. Doch jetzt, mit der Ruhe, kam der Schmerz zurück, und sein Arm schwoll an wie vorher seine Nase. Er konnte die Finger der rechten Hand kaum noch bewegen, aber die linke war
Weitere Kostenlose Bücher