Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
finde, wir sollten …«, er führte den Satz gar nicht zu Ende, sondern gähnte schon wieder mit offenem Mund.
Weller sagte: »Rupert hat recht. Wir können jetzt nicht hier weiter durchwachen. Der schafft uns. Wir müssen daran denken, einsatzfähig zu bleiben und unsere Kräfte zu schonen. Wir werden abwechselnd …«
»Du glaubst doch nicht, dass ich jetzt schlafen gehen kann«, fuhr Ann Kathrin ihn an und entschuldigte sich gleich mit einem Blick für ihre heftige Reaktion.
Wellers Handy spielte »Piraten, Ahoi!« Er hatte es sofort am Ohr.
Schrader meldete sich. Der sonst so ruhige und besonnene Mann war aufgekratzt: »Ich glaube, wir haben ihn!«
Wie immer war Wellers Handy so laut, dass alle mithören konnten.
»Ein Pärchen aus Greetsiel ist sich sicher, ihn im Hafen gesehen zu haben. Er schleppt irgendwas mit. Wir sind schon unterwegs.«
Ann Kathrin sah die Situation in einem albtraumhaften Moment vor sich wie auf einem schlecht belichteten Bild. Klar zerrte am Rand des Wassers etwas durchs Gras. Es war ein Sack, und darin lag ihr Sohn.
Sie rannte nach draußen und brüllte noch: »Rieke und Silvia! Ihr bleibt bei Holger! Die anderen mit mir!«
Sie stürmte durch den Flur. Weller überholte sie draußen. Er war froh, das Auto vor ihr zu erreichen. Er wollte sie auf keinen Fall fahren lassen.
Sie waren noch keine drei Kilometer auf der L 27 in Richtung Greetsiel gefahren, da meldete Schrader sich erneut: »Kommando zurück. Er ist es nicht.«
»Was soll das heißen, er ist es nicht?«
»Nun, es war ein Angler. Der Versager hat nicht mal was gefangen.«
»Bist du sicher, dass es nicht Klar ist?«
»Ja, hundertprozentig sicher. Es ist mein alter Klassenkamerad Frerich. Er sieht diesem Klar nicht mal ähnlich. Ich glaube, das Pärchen war nur sauer auf ihn, weil er sie beim Liebesspiel erschreckt hat.«
»Ist dieser Frerich ein Spanner?«, fragte Weller angriffslustig.
»Glaub ich nicht.«
»Lass uns umkehren«, sagte Ann Kathrin und schaltete den Polizeifunk wieder aus.
Weller warf ihr einen kurzen Blick zu. Sie wirkte leblos und dennoch hochexplosiv. Sie hatte etwas Reptilienhaftes an sich, fand er. Irgendwie wurde sie eins mit ihrer Umgebung, als hätte sie selbst ihren Herzschlag auf ein absolutes Minimum zurückgefahren. Gleichzeitig war sie bereit, im günstigen Augenblick mit einer blitzartigen Bewegung zuzuschlagen.
Weller begann, sich mit dem Gedanken zu beschäftigen, wie er Ann Kathrin beistehen konnte, wenn in den nächsten Stunden ihr toter Sohn gefunden werden würde.
Wir Menschen, dachte Weller, sind nicht dafür vorgesehen, dass die Kinder vor den Eltern sterben. Es ist unnatürlich. Es stimmt irgendwie nicht. Wie soll man damit klarkommen? Sie wird sich grauenhafte Vorwürfe machen. Und wie soll ich mich verhalten? Gibt es überhaupt einen Trost? Kann man versuchen, jemanden zu trösten, dessen Kind auf solche Weise von einem Irren zu Tode gefoltert wurde? Gibt es außer Trauer und Rache überhaupt noch einen Gedanken? Gibt es ein Leben danach?
Das, dachte er, sind jetzt unsere Flitterwochen. Statt im Genueser Schiff an den Literaturtagen teilzunehmen, werden wir Eike beerdigen. Mein Gott …
Seine Hände waren feucht und kalt. Er hatte Mühe, den Wagen sicher zu lenken.
Kurz nach drei Uhr morgens wollte Holger Bloem nach Hause fahren und sich ein paar Stunden aufs Ohr hauen. Er wollte nicht mit dem Fahrrad fahren, dazu war er jetzt zu kaputt. Er ging auf den roten Golf zu, den Dienstwagen, auf dem mit weißer Schrift
Ostfriesland-Magazin
stand.
Er klickte schon von weitem die Tür auf. Die Lichter des Wagens blinkten einmal kurz. Er war so müde, dass ihm nicht mal auffiel, dass die Fahrertür nicht ganz verschlossen war. Er öffnete die Tür, und zunächst war es, als würde jemand aus dem Auto fallen. Aber der Gurt hielt die Person fest.
Holger Bloem wusste sofort, dass dieser Mensch tot war.
Bloem rannte in die Redaktionsräume zurück. Er musste nichts sagen. Es reichte, dass er die Tür öffnete – die anderen sahen an seinem Gesichtsausdruck, dass draußen etwas Schreckliches geschehen sein musste.
Ann Kathrin erkannte Klar auf Anhieb.
»Mein Gott«, sagte sie, »das ist Johannes Klar. Er hat uns die Leiche direkt vor die Tür gelegt!«
»Aber ich denke«, sagte Rupert, »Klar ist der Mörder? Wieso ist der dann jetzt tot?«
Weller kommentierte das nicht einmal. Doch Ann Kathrin sagte: »Wir haben die ganze Zeit mit dem Falschen verhandelt. Meine
Weitere Kostenlose Bücher