Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
für Menschen, die ihr nicht gutgetan hatten.
Er kannte die Zeilen ihres Tagebuchs über Michaela Warfsmann fast auswendig.
Sie hat mich vom ersten Moment an gehasst. Warum macht sie das? Was stimmt nicht mit mir? Warum lässt sie mich so zappeln? Ich habe ihr nichts getan.
Sie genießt es, die kalte Ziege, wenn ich versuche, sie zu umgarnen, sie für mich zu gewinnen. Ich muss damit aufhören. Muss! Muss! Muss!
Als sie in der Matheklausur nicht weiterwusste. Die ach so schlaue Michaela, die so gut quatschen kann, dass einem ganz schwindlig davon wird und selbst unserem Sozilehrer die Argumente ausgehen, genau die geriet in Mathe und Physik ins Schleudern, weil sie sich da nicht so einfach freiquatschen kann, weil da logisches Denken gefragt ist.
Ich habe ihr die erlösende Formel rübergeschoben und den Rechenweg. Ich habe sie ohne Ende abschreiben lassen. Unsere Mathelehrerin liest immer Liebesromane, während sie Aufsicht schiebt. Sie hofft, dass die zwei sich kriegen, und wir tauschen in der Zeit gefahrlos Ergebnisse aus.
Ja, das wirkt alles ganz easy und locker, aber als dann rauskam, dass wir beide genau den gleichen Fehler gemacht hatten, da hat unsere große Geisteswissenschaftlerin, die so vortrefflich über Ethik und Moral in der postmodernen Gesellschaft reden kann, mich gnadenlos in die Pfanne gehauen und behauptet, ich hätte von ihr abgeschrieben und sie hätte mir nur aus Mitleid alles rübergeschoben, weil ich es doch so schwer habe, in der Klasse anerkannt zu werden.
Jetzt hob sie ihr strampelndes Kind von Papis Rücken, um es vor den Möwen zu beschützen, von denen sie umflattert wurden. Dabei fiel die Prinzenrolle hin und wurde gleich zur Beute.
Er spielte sich prächtig auf, schlug sinnlos im Wind nach den Möwen, die ihn hämisch auslachten. Für die Möwen war er unwichtig geworden. Die Tiere zankten sich um die Kekse, die aus der Packung in den Sand segelten.
Fünf Jahre später hatten Ines und Michaela sich wiedergetroffen. Ines suchte eine Stelle, und Michaela Warfsmann arbeitete bereits in der Einrichtung. Es war ein evangelischer Kindergarten.
Sofort flammte die alte Konkurrenz zwischen den beiden wieder auf. Michaela machte ihren Einfluss geltend, dass Ines die Stelle nicht bekam, tat aber so, als hätte sie sich besonders für ihre ehemalige Klassenkameradin eingesetzt.
Sie spürte genau, dass Ines am Tiefpunkt ihres jungen Lebens angekommen war, und machte ihr ein Angebot. Ines war zu blauäugig und zu schutzlos, um es abzulehnen. Sie konnte stundenweise bei den Warfsmanns arbeiten. Als Mädchen für alles. Sie putzte, kochte dreimal pro Woche, bügelte die Wäsche und konnte es dem jungen Paar doch nie recht machen.
Besonders gerne gaben sie große Partys, zu denen Ines nicht eingeladen war, aber am nächsten Tag durfte sie das Chaos beseitigen. Noch schlimmer wurde es, als sie dann dazu eingeladen wurde, denn sie gehörte ja praktisch zur Familie, wie Michaela so gerne ihren Freundinnen gegenüber betonte. Mal stellte sie Ines als eine Freundin vor, dann wieder als Haushaltshilfe, ganz so, wie es ihr gerade passte.
Michaela hatte es ja eigentlich nicht mehr nötig zu arbeiten, wie sie gerne betonte, denn ihr Mann verdiente in irgendeiner Planungsabteilung bei VW genug. Die beiden bewohnten ein Einfamilienhaus mit fast zweihundert Quadratmetern Wohnfläche, drei Bädern und einem großen Garten. Im Urlaub fuhren sie zu den schönsten Zielen der Welt, und einmal, als die Großmutter im Krankenhaus lag, sollte Ines auf die Kleine aufpassen.
Michaela versuchte auch aus der Ferne, jeden einzelnen Schritt zu bestimmen. Fast jeden Abend lag Ines heulend im Bett.
Die hatten sie nicht als Putzfrau und Kindermädchen angestellt, sondern
als hauseigene Bewunderin ihres Eheglücks
, schrieb Ines in ihr Tagebuch.
Und als dann die Kleine krank wurde, drei Orchideen eingingen und auch noch der Computer den Geist aufgab, weil die Prinzessin Milch darüber ausgegossen hatte, da war Ines für alles verantwortlich. Michaela führte sich auf wie eine
KZ -Kommandantin auf Koks
, schrieb Ines.
Ein halbes Jahr später hatte Ines sich umgebracht.
Wie konntest du dein wertvolles Leben nur wegwerfen, dachte er. Ausgerechnet für dieses Pack!
Es sei, hatte Ines geschrieben,
als ob sie versuchen würde, mich mit tausend kleinen Nadelstichen umzubringen.
Eine Weile hatte er darüber nachgedacht, dies nun genauso zu machen, Michaela Warfsmann auf einen Stuhl zu fesseln und dann mit
Weitere Kostenlose Bücher