Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
durch die Gegend fährt.«
Dagegen sprach, dass er offensichtlich schon öfter an solchen Gruppensitzungen teilgenommen hatte. In Ruperts Augen war das ein Zeichen dafür, dass er psychisch labil war und leicht zu beeinflussen. Also vielleicht ein ideales Opfer für einen
brillanten Denker
wie Professor Willbrandt.
Auf dem Weg zur Wahl der »Miss Wet-T-Shirt« beobachtete Rupert einen jungen Mann, der angeblich ein berühmter Musiker einer Band war, deren Name Rupert nicht einmal kannte. Er nannte sich »Bob« und signierte mit einem dicken schwarzen Filzstift Damenbusen. Und sie standen in Dutzenden an, um sich ein Körperautogramm abzuholen.
Eine volltrunkene Brünette kreischte vor Freude, als ihr Busen endlich den unleserlichen Namenszug trug, und gab dem blassen Jüngling zum Dank einen Kuss.
Irgendetwas, dachte Rupert, habe ich bei meiner Berufswahl falsch gemacht. Wenn die Frauen hören, dass ich von der Mordkommission Aurich bin, reißt keine ihr T-Shirt hoch und bittet mich um ein Autogramm. Stattdessen fragen sie nur, wo denn Aurich liegt oder wie die nächstgrößere Stadt heißt.
Er stellte sich nah an den Musiker, um die Busenparade besser bewundern zu können. Eine kleine Dralle, auf deren T-Shirt stand:
Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse überallhin
, fragte: »Ist das der Drummer?«
Ihre Freundin mit dem T-Shirt-Aufdruck:
Vorsicht, ich bin heiß,
verzog kritisch den Mund, nickte dann aber: »Ja klar, das ist Klaas. Der ist doch immer so schüchtern und hält sich im Hintergrund. Er gibt auch nie Interviews.«
Die kleine Dralle tippte Rupert an: »Bist du der Klaas?«
Er lächelte verwirrt zurück. War das jetzt hier die Chance seines Lebens?
Er wollte ja schon lange Mitglied im Norddeicher Shantychor werden. Allerdings versetzten die Mitglieder des Chores die Frauen nicht ganz so in Ekstase wie dieser Bob.
Trotzdem, singen konnte er, fand Rupert. Zum Beispiel »Rolling Home«, da kannte er alle Strophen auswendig. Und »Wo de Nordseewellen trecken an de Strand«.
Seine Nichtantwort wurde als »Ja« ausgelegt, und das böse Mädchen, das angeblich überall hinkam, fragte: »Signierst du auch, Klaas?«
Rupert zuckte mit den Schultern und murmelte: »Ich habe keinen Filzstift dabei.«
Da konnte die kleine Dralle rasch aushelfen, und Sekunden später reckte sie ihm ihre Brüste entgegen.
Rupert malte mit ungelenker Hand seinen Namen neben den des umschwärmten Jüngling. Plötzlich registrierte er, dass er gerade »Rupert« geschrieben hatte. Aber die Frau wollte doch eigentlich eine Signatur von irgendeinem Klaas.
Nun konnte Rupert schlecht seinen Namen durchstreichen oder den Schriftzug korrigieren.
Bei der nächsten Frau wollte er es aber richtig machen. Er konnte sie nur schlecht fragen, ob man Klaas mit K oder mit C schreibt. Er entschied sich rasch für K.
Dann standen sie auch bei ihm Schlange und während eine Köchin aus Dortmund ihn anlachte: »Ja, das sind Möpse, was? Da hat man wenigstens was in der Hand, sagt mein Mann immer«, fühlte Rupert, dass er endlich angekommen war im Gelobten Land.
Ann Kathrin war alleine in Willbrandts Wohnung. Sie versuchte, sich einen Eindruck zu verschaffen. Wie hatte das Opfer gelebt? Normalerweise sah sie sich zuerst die Buchregale an. Sie empfand das als eine Art seelischen Fingerabdruck.
Wofür interessierte sich der Mensch? Wovon fühlte er sich unterhalten?
Aber bei Willbrandt suchte sie zunächst vergeblich nach Büchern. Dann fand sie immerhin drei in der Küche. Kochbücher. Dazu viele Gewürze von Schuhbeck.
Sein Bruder unterrichtet vergleichende Literaturwissenschaften, und er besitzt nicht einen Roman, sondern nur ein paar Kochbücher, wunderte Ann Kathrin sich.
Sie vermutete, dass er ein Feinschmecker war, aber einer, der zwar Schuhbecks Gewürze ausprobierte und trotzdem nur drei Kochbücher besaß.
Ein Laptop stand auf der Arbeitsplatte neben dem Herd. Gehörte Willbrandt zu den Menschen, die sich Rezepte aus dem Internet holten?
Sie sah sich den Computer an und grinste. Offensichtlich spürte Willbrandt eine tiefe Verbundenheit zu Köln. Er hatte die Alt-Taste gegen eine Kölsch-Taste ausgewechselt.
Im Kühlschrank lagen zwei Filetsteaks in einer Plastiktüte. Zunächst glaubte Ann Kathrin eine Schrecksekunde lang, es könnten Leichenteile von Christoph Willbrandt sein, aber dann sagte ihr der Verstand, dass Willbrandt hier nicht umgebracht worden war. Es gab keine Blut- oder Kampfspuren in der Wohnung.
Der
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