Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
Dann sagte er:
»Nebenan wird gerade die Beweisaufnahme durchgeführt.«
»Beweisaufnahme? Was für eine Beweisaufnahme?«
»Nun, die Schadensersatzansprüche müssen doch untermauert werden.«
»Wie?«
»Durch Fotos. Drei der Touristinnen bestehen auf einer Anzeige. Die anderen wollen sich diesem Prozess nicht unterziehen, wofür ich, gelinde gesagt, Verständnis habe.«
Rupert rang die Hände. Dann ließ er seine Fingerknöchel knacken. Er wollte nur noch hier raus.
Der Polizist notierte etwas und fragte: »Was für einen Filzstift haben Sie verwendet? Kann es sein, dass darin wenig hautfreundliche Stoffe enthalten waren, ja, giftige Allergieauslöser?«
Es hielt Rupert kaum auf dem Stuhl. »Ich habe keine Ahnung! Ich meine, der Stift gehörte mir nicht.«
Der Polizist nickte vielsagend. »Klar. Es war nicht Ihr Name. Es war nicht Ihr Stift.« Dann schlug er mit der Faust hart auf den Schreibtisch. »Für wie blöd halten Sie uns eigentlich? Eine Frau spricht von Ausschlag und Verätzungen …«
Rupert beugte sich vor. Er hatte einen trockenen Hals. Heute Morgen noch hatte er davon geträumt, im Bierkönig einen zu heben, und jetzt hätte ihm schon ein Glas Wasser gereicht.
»Bitte, machen wir doch aus dieser Bagatelle kein Staatsdrama. Ich bin ein Kollege aus Deutschland. Mordkommission Aurich.«
Sein Gegenüber sah ihn fragend an.
»Das ist in Ostfriesland«, erklärte Rupert.
Aber der mallorquinische Beamte machte jetzt nicht auf Kumpel, sondern wurde sehr ernst. »Leute wie Sie sind eine Schande für unseren Beruf und bringen die gesamte Polizei in Verruf. Kann man mit so einer dämlichen Frisur in Deutschland überhaupt Polizist werden? Hat Ihnen nie jemand gesagt, dass Sie damit aussehen wie ein Meerschweinchen?«
Rupert griff in seine kurzen Löckchen. »Ich dachte, das unterstreicht meinen südländischen Typ …«
Mit dieser Bemerkung machte Rupert sich nicht gerade beliebter.
»Wenn Hamburg in Südeuropa liegt, haben Sie sicherlich recht«, brummte sein Gegenüber und richtete den Finger wie eine Waffe auf Rupert. »Wenn Sie das mit meiner Frau oder Tochter gemacht hätten, würde ich Ihnen Ihre Cojones abschneiden.«
Rupert guckte erschrocken und verständnislos.
»Das bedeutet Eier«, grinste der Mallorquiner und machte mit der Faust eine Bewegung, als würde er etwas zerquetschen.
Die Dielen im Flur knarrten. Da bewegte sich jemand in der Wohnung, der ohne Sorge war, überrascht zu werden. Ein Schlüsselbund raschelte. Der schwere Atem konnte von einem Mann oder auch von einer Frau stammen.
Ann Kathrin versuchte, die Person durch die Geräusche einzuschätzen. Warum war jemand so atemlos? Angst? Aufregung? Das passte nicht zu dem Lärm, den der Besucher machte.
Ann Kathrin hatte kein Fahrzeug gehört. War die Person mit dem Rad gekommen? Hatte sie die letzten paar Kilometer strampelnd zurückgelegt? Kam daher der rasselnde Atem?
Ann Kathrin erinnerte sich an einen jungen Glatzkopf, der bei einer Razzia mit einem Baseballschläger auf sie losgegangen war. Sein Atem hatte ähnlich geklungen. Ein Luftschnappen wie von einem Menschen, der an den eigenen Problemen zu ersticken drohte. Seine Attacke war wie ein Befreiungsversuch. Ein Kampf um Erlösung. Er stand vor ihr, bedrohlich, groß, dick, stark und voller Hass und Angst.
Sie hatte seltsamerweise Mitleid empfunden und statt ihre Heckler & Koch zu ziehen zu ihm gesagt: »Ich bin nicht deine Mutter.«
Irritiert hatte der Glatzkopf den Baseballschläger gesenkt und gesagt: »Natürlich sind Sie nicht meine Mutter.«
Seine Atmung beruhigte sich, und Ann Kathrin hatte schon die Hoffnung, sie könnte ihn dazu bewegen aufzugeben. Da stürzte Weller sich auf den Jungen, entwaffnete ihn und hatte dieses stolze Retterlächeln auf den Lippen, als er triumphierte: »Na, das ist ja noch einmal gutgegangen!«
Aber jetzt war Weller nicht da, und sie hielt noch immer dieses lächerliche Negligé in der Hand.
Mach jetzt keinen Fehler, sagte sie sich. Ganz ruhig bleiben und auf Nummer sicher gehen. Es könnte sein, dass der Mörder zurückgekommen ist, weil er etwas vergessen hat. Zum Beispiel den Laptop.
Da war etwas wie ein Rascheln von Kleidern, die ausgezogen wurden. Dann bewegte sich jemand in Richtung Küche und klapperte herum.
Ann Kathrin warf das Negligé aufs Bett und nahm ihre Dienstwaffe in beide Hände, zögerte dann aber und versteckte sie zwischen Hosenbund und Sweatshirt auf ihrem Rücken. Dann schlich sie zur
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