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Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer

Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer

Titel: Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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den Schleim mit einem Blatt von der Haushaltsrolle ab. Dann cremte er ihren glänzenden Schädel ein. Er wusste nicht, warum er das tat. Die glatzköpfige Frau erinnerte ihn an eine Krebspatientin.
    Das würde sie schockieren. Oh ja. Langes Haar war das Zeichen für Jugend, Fruchtbarkeit, Freiheit und Vitalität. Glatzen galten für ihn als Zeichen von Religiösität, wie bei buddhistischen Mönchen.
    Das Rasieren einer Glatze war in vielen Armeen ein Zeichen der Unterwerfung unter die neuen Gesetze. Ein Initiationsritus. Wer sich freiwillig eine Glatze rasieren ließ, gehörte dazu.
    Aber so etwas wurde auch als Strafe eingesetzt. Er erinnerte sich an einen Roman über die Zeit der Besatzung in Frankreich. Mitglieder der Résistance hatten Frauen zur Strafe den Kopf geschoren, weil sie sich mit deutschen Soldaten eingelassen hatten.
    Er hoffte, der eigene Anblick würde sie sprachlos und nachdenklich machen.
    Aber es gab noch etwas, das ihre Willenskraft brechen würde: die Magnumpackung Sekundenkleber.
    Er strich den Stuhl damit ein. Zuerst die Sitzfläche, dann die weißlackierten Armlehnen und schließlich die Rückenstütze. Das Klebezeug roch auf eine verstörende Weise gut. Er schnüffelte daran.
    Dann hob er Michaela Warfsmann vom Tisch und drückte sie auf den Stuhl. Er richtete sie auf und hielt sie eine Weile in der Stellung, bis ihre Arme fest auf den Lehnen klebten.
    Jetzt hätte er am liebsten gleich mit dem Verhör begonnen und ihr die Chance gegeben, sich zu erleichtern. Aber er wusste, dass es keinen Sinn machte, sie zu wecken.
    Er wusste, dass es noch einige Zeit dauern würde, bis sie zu sich kam. Wenn überhaupt.
    Er spielte mit ihrem iPhone. Sie hatte die PIN -Nummer hintendrauf geklebt, aus Angst, sie zu vergessen. Sie war kein Zahlenmensch.
    Er schaltete es aus.
    Er war jetzt müde und nassgeschwitzt. Er duschte, und nachdem er sich gründlich gereinigt hatte, legte er sich ein bisschen aufs Sofa, um auszuruhen. Er hatte noch viel Arbeit vor sich.

    Als die Wirkung der Droge nachließ und Pille diese Gliederschmerzen spürte, das Ziehen in den Gelenken und dieses Dröhnen im Kopf nicht mehr aufhören wollte, beschloss er, sich umzubringen.
    Der kalte Schweiß hatte seine Kleidung durchfeuchtet, und die Schuhe klebten an seinen Socken fest.
    Sie hatten ihm alles abgenommen, als hätten sie geahnt, dass er Schluss machen wollte. Er besaß weder Gürtel noch Schuhriemen, um sich aufzuhängen. Aber so wollte er sowieso nicht sterben.
    Am liebsten hätte er eine Überdosis genommen, aber auch diese Möglichkeit lag in weiter Ferne.
    Der Riss in seinem Hemd wurde aber von zwei Sicherheitsnadeln zusammengehalten. Daraus bastelte er sich jetzt einen Stern.
    Er brach die Nadeln, verbog sie und verhakte sie. Mit einem Plastikfaden aus seiner Socke band er alles fest zusammen. Weil aber seine Hände so sehr zitterten, fiel ihm der Stern immer wieder runter.
    Diese Art des Selbstmordversuchs hatte er im Entzug von einem Junkiemädchen gelernt. Bei ihr hatte das Sternchenschlucken gewirkt. Sie hatte der öden Welt für immer adieu gesagt.
    Als Pille den Stern fertig hatte, der ihm die Eingeweide aufreißen sollte, kam er ihm merkwürdig schön, ja kunstvoll vor. Pille stellte sich vor, diesen Todesstern als riesige Plastik in Norden auf dem Marktplatz aufzubauen. Eine Spitze zeigte auf die Ludgerikirche, als sollte sie durchbohrt werden. Eine andere auf die Polizeiinspektion. Eine auf den Kiosk und eine auf die Schwanen-Apotheke.
    Er stand stolz zwischen den Stahlstangen und gab Interviews. Er war ein berühmter Künstler, dessen Skulpturen,
Todessterne
genannt, in der ganzen Welt standen. Ja, er hatte gerade einen Stern in Tokio eingeweiht, und einer stand in Paris vor dem Louvre, weil der Louvre für ein Kunstwerk von solchen Ausmaßen gar nicht groß genug war. Da gab es nicht genug Platz für seine gigantische Kunst.
    Er hatte seiner Heimatstadt Norden diesen Todesstern geschenkt, weil die Stadt selbst viel zu arm war, um sich ein Werk ihres berühmten Sohnes leisten zu können.
    Seine alten Lehrer waren da und staunten. Einige – die früher ganz anderer Meinung waren – erzählten sich jetzt, sie hätten ja schon immer gewusst, dass aus ihm eines Tages etwas werden würde. Etwas ganz Besonderes.
    Sogar dieser Bulle war da, der ihn so brutal verhört hatte, und schämte sich. Er sagte, es tue ihm im Nachhinein leid, seinen Kopf gegen die Wand geknallt zu haben. Das sei ja, als hätte man versucht,

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