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Anna, die Schule und der liebe Gott

Anna, die Schule und der liebe Gott

Titel: Anna, die Schule und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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voraussetzt – allesamt Fähigkeiten, die wir entsprechend unserer Persönlichkeit mehr oder weniger stark einüben müssen.
    Der Grund dafür, dass wir es überhaupt einüben können, liegt darin, dass wir uns bei unserem Fühlen, Denken und Handeln selbst wahrnehmen und beobachten können. Immanuel Kant hatte bereits im 18. Jahrhundert betont, dass Menschen danach streben, Gefühle der Lust zu erleben und solche der Unlust zu vermeiden. Die Pointe dieses Satzes besteht in dem Wort » Streben « – das uns nach Kant von anderen Tieren unterscheiden soll. Denn Streben ist eine Tätigkeit, über die wir uns zumeist im Klaren sind, die wir also an uns selbst beobachten. Insofern sind wir einem Anreiz nicht einfach ausgeliefert, selbst wenn er uns magisch anzuziehen scheint oder abstößt. Entsprechend kennt auch unser Gehirn zwei unterschiedliche Systeme, » nämlich ein System, das den Lustgewinn eines Ereignisses repräsentiert, und ein anderes, das ein Ereignis erstrebenswert macht. Das eine befriedigt, das andere treibt voran, motiviert. In der englischsprachigen Literatur werden entsprechend das › liking -System‹ und das › wanting -System‹ unterschieden. « 103
    Selbst wenn ich mit Vorliebe Schokolade esse, esse ich sie nicht den ganzen Tag. Man kann sich auch Wünsche versagen, sie vertagen und verschieben. Und genau diese Fähigkeit zu Selbstkontrolle und Selbstregulation spielt eine erhebliche Rolle bei jedem längerfristigen Lernerfolg. Dinge zu lernen und zu verstehen, die man lernen soll, ist nicht immer lustvoll. Und ohne Mühe und Disziplin gelangt man selten zum Erfolg. Die Frage ist nur, welches Verhältnis von Lust und Leid wir an unseren Schulen in Zukunft hinbekommen. Denn dass ich etwas manchmal nicht gern tue, ist kein Widerspruch dazu, dass ich es grundsätzlich gern tue. Dass die meisten Schüler an unseren Schulen grundsätzlich gern in die Schule gehen, darf leider bezweifelt werden. Aber dies zu erreichen, wäre ein wichtiges und schönes Ziel. Und dass wir dabei aus unseren Schulen keine Paradiese machen werden, entbindet uns nicht von der Verantwortung, uns in die richtige Richtung zu bewegen und die nicht selten ziemlich trübe Gegenwart zu überwinden.
    Häufig haben wir es bei Kindern wie bei Erwachsenen mit dem Widerspruch zwischen dem zu tun, auf was man unmittelbar Lust hat, und dem Bedürfnis, stolz auf sich zu sein. Stolz sind wir zumeist dann, wenn wir eine Schwierigkeit meistern konnten oder ein erstrebenswertes, aber nicht einfaches Ziel erlangt haben. Das Streben nach dem Gefühl, etwas gut gemacht oder geschafft zu haben, ist ein starker emotionaler Gegenpart zu schnellen Ablenkungen und Reizbefriedigungen. Eine Situation, die die meisten Menschen auch an ihrem Arbeitsplatz kennen. Oft hilft dabei die Aussicht darauf, wie man sich am Abend wohlfühlen wird, wenn man entweder sein Tagwerk erfolgreich erledigt oder aber seine Zeit mit ablenkenden Reizbefriedigungen verplempert hat.
    Aus Sicht der Hirnforschung haben wir es hier mit der Arbeit des internen Bewertungs- und Motivationssystems zu tun, das alles, was wir machen, danach bewertet, ob es uns guttut oder es uns dabei schlecht geht. Entsprechend reagiert unsere Körperchemie. Wir fühlen uns positiv beschwingt, wenn wir etwas Großes geschafft haben, und besonders nachhaltig ist die Freude vor allem, wenn wir in einer langwierigen Sache, in die wir viel Energie eingebracht haben, erfolgreich sind und uns sagen können, dass wir das richtig klasse bewerkstelligt haben. Wir fühlen uns aber leer und deprimiert, wenn wir vor Hindernissen versagt oder uns ihnen nicht gestellt haben.
    Menschen sind in der Lage, sich selbst wahrzunehmen, sich selbst zu beobachten und zu bewerten. Und je mehr positive Erfahrungen sie dabei mit sich gemacht haben, umso größer ist gemeinhin die Kraft, mit der man an neue Aufgaben herangeht. Den Fachbegriff dafür prägte der kanadische Psychologe Albert Bandura in den siebziger Jahren, indem er von » Selbstwirksamkeitserwartung « (perceived self-efficiacy) sprach. Erfolg ist damit in doppelter Hinsicht selbst definiert. Zum einen dadurch, dass ich selbst bestimme, ob ein Ziel für mich einen hohen Wert hat (zum Beispiel die Verbesserung meiner Mathe-Note), und zum anderen, dass ich mir bestimmte Verbesserungen zutraue oder nicht.
    Die beiden wichtigsten Komponenten der Motivation unterliegen damit nicht einfach meinem Lustgefühl, sondern in weit größerem Maß meiner Einschätzung des

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